Martin Smolka (*1959)

„In jeder Komposition tritt Smolka 'mit dem Gefühl an, dass ich alles neu erlernen oder sogar neu erfinden muss'. Strukturell fallen in seiner Musik Momente des Beharrlichen, spannungsvoll Insistierenden, sich gleichsam Festbeißenden auf. Dabei lässt sich im Verlauf seiner Entwicklung eine Zunahme an Stringenz und Klarheit sowie eine stärkere Profilierung von Gegensätzen beobachten.“

Der 1959 in Prag geborene Martin Smolka trat Anfang der 1980er Jahre in die Musikwelt ein, als er das Ensemble Agon mitbegründete. Dieses Ensemble war in den späten 80er und frühen 90er Jahren der bedeutendste Vermittler der internationalen musikalischen Avantgarde in der tschechischen Szene, die damals von der offiziell geförderten einheimischen Pseudomoderne dominiert wurde. Schon zu Beginn seiner kompositorischen Laufbahn sind bei Smolka Einflüsse des Post-Webernismus, des Minimalismus, der amerikanischen experimentellen Musik und der Polnischen Schule zu erkennen.

In den frühen 90er Jahren interessierte sich Smolka für ungewöhnliche Instrumentaltechniken und Klangquellen (tief gestimmte Saiten, alte Grammophone, verschiedene Gegenstände als Schlagzeug usw.). Smolka nutzte sie, um in der Natur und in der Stadt wahrgenommene Klänge zu stilisieren. Einige seiner Kompositionen aus dieser Zeit bezeichnet er als "Klangfotografien" (z. B. Nachtgeräusche auf einem Rangierbahnhof). Smolka wählte reale Klänge nach ihrer Ausdrucksstärke aus und stilisierte sie, um ein bestimmtes emotionales Klangergebnis zu erzielen (eloquent ist zum Beispiel der Titel eines von Smolkas stärksten Stücken: Rain, a window, roofs, chimneys, pigeons and so… and railway bridges, too für großes Ensemble, 1992.

Metaphorisch gesprochen oszilliert Smolkas Musik um zwei Pole: 1) Rissige, beschwingte Geselligkeit, die Musik eines humpelnden Orchestrions, symptomatische Zivilisationsklänge, eine Volks- oder Blaskapelle, die vorzugsweise verstimmt spielt; 2) Melancholische Erinnerungen, schmerzende Sehnsucht, das nostalgische Echo der Klänge von Punkt 1. Die übliche Strukturierung von Smolkas Kompositionen entspricht diesen beiden Polen: Sie bilden fast ausnahmslos Gegenüberstellungen von innerlich homogenen und stark miteinander kontrastierenden Formsegmenten (langsam - schnell, fröhlich - traurig, stürmisch - sanft usw.). Smolka arbeitet häufig mit schroffen, filmischen Schnitten, evolutionäre Entwicklungen werden unterdrückt, Nähte zugelassen, dynamische und texturelle Unterschiede in den Vordergrund gestellt, wobei Wiederholung das Grundprinzip ist.

Der grundlegend emotionale Tonfall von Smolkas Kompositionen hängt auch mit der Anwendung von Mikrointervallen zusammen, die dem Komponisten einerseits dazu dienen, reale Klänge zu evozieren, andererseits traditionelle harmonische und melodische Formationen zu "verstimmen" – die Motivation für diese grundsätzlich subversive Inbesitznahme des ererbten Materials ist die weitere Verstärkung oder Wiedererweckung seines emotionalen Potenzials (z. B. Semplice für alte und neue Instrumente, 2005). In den späten 90er Jahren richtete Smolka seine Aufmerksamkeit auf eben dieses "Recycling" von Elementen traditioneller Musik, die in Mikrointervallen deformiert und collageartig arrangiert wurden (Remix, Redream, Reflight für Orchester, 2000 oder Blue Bells or Bell Blues für Orchester, 2011, ausgezeichnet von der Stiftung Prince Pierre de Monaco). Darüber hinaus hat sich Smolka in den letzten Jahrzehnten intensiv mit Vokalmusik beschäftigt (Poema de balcones für Chor, 2008, Psalmus 114 für Chor und Orchester, 2009, Stretto für 6 Sänger und Vibraphone, 2019 usw.).

Die Musik von Martin Smolka wurde vor allem außerhalb der Tschechischen Republik, seinem Heimatland, aufgeführt. Zu den Auftraggebern von Smolkas Kompositionen gehören die renommiertesten europäischen Ensembles und Festivals. In Prag ist er vor allem durch seine Oper Nagano bekannt, für die er mit dem Alfréd-Radok-Preis ausgezeichnet wurde. In den Jahren 2003-2024 unterrichtete er Komposition in Brünn, seit 2023 ist er Professor für Komposition in Prag. Martin Smolka studierte Komposition an der Musikfakultät der Akademie der Darstellenden Künste in Prag, von entscheidender Bedeutung war für ihn aber auch der Privatunterricht bei Marek Kopelent.

(Petr Bakla)

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Homepage von Martin Smolka

Texte von Smolka

Ungewöhnliches Ausdruckspotential. Meine Erfahrungen mit Mikrotönen, in: MusikTexte 97 (Mai 2003), S. 87-92 (dort auch Werkverzeichnis und Diskographie, S. 92f)

„Wie der Baum hinter meinem Fenster“. Der Komponist im Gespräch mit Reinhard Schulz, in: Programmbuch Klangspuren Schwaz 2006, S. 10-15

Prozesse der Öffnung. Im Gespräch: Martin Smolka, Steffen Schleiermacher und Jörn Peter Hiekel, in: Jahrbuch der Sächsischen Akademie der Künste 2007/2008, Dresden 2009, S. 321-326

Music is covered. Martin Smolka in conversation with Susanne Laurentius, in: KunstMusik 14 (Herbst 2011), Köln: Maria de Alvear World Edition, S. 25-28


Texte über Smolka

Hiekel, Jörn Peter: „... und jetzt bitte den Klang verderben“. Der tschechische Komponist Martin Smolka, in: Positionen 38, S. 29-32
ders.: Der Reiz der Reibungen. Die Musik des Prager Komponisten Martin Smolka, in: Neue Zeitschrift für Musik, 170 (2009); Heft 6, S. 50-53
Kratochvíl, Matej: Not to write new music, but simply music: Interview mit Martin Smolka (engl.), in: Czech Music 2001, Heft 6, S. 2-4
Meyer, Thomas: Schwejk im Reich der Avantgarde. Der Prager Komponist Martin Smolka, in: Neue Zeitschrift für Musik 164 (2003), Heft 3, S. 70f
Schleiermacher
, Steffen: Interview mit einem Viertelton, in: Martin Smolka, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte 191), München: edition text + kritik 2021, S. 48-58
Schulz, Reinhard: Der umgestimmte Komponist. Der Prager Komponist Martin Smolka, in: MusikTexte 97 (Mai 2003), S. 83-87
Martin Smolka, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte 191), München: edition text + kritik 2021

Tears (1983) 15'
für Streichtrio

Music Sweet Music (1985/88) 12'
für Sopran und Ensemble (9 Spieler)

Music for Retuned Instruments (1988) 22'
für 4 Spieler (Flöte/Piccolo, Viola, Violoncello/Viola 2, Klavier/Schlagzeug)

Nocturne (1989) 24'
für Violine solo und Ensemble (6 Spieler)

Ringing (1989) 11'
für Schlagzeug

The Flying Dog
Version 1 (The Bat) (1990) 7'
für Ensemble (7 Spieler)
Version 2 (1990/92) 11'
für Ensemble (6 Spieler)

L'Orch pour l'orch (1990) 20'
für Orchester

Rent a ricercar
Version 1 (1993) 11'
für Ensemble (8 Spieler, alle mit Zusatzinstrumenten)
Version 2 (New York Version) (1993/95) 11'
für Ensemble (9 Spieler, alle mit Zusatzinstrumenten)

Trzy motywy pastoralne (1993) 12'33
für Tonband (und Klavier als visuelles Objekt)

Rubato (1995) 10'
für Violine und Klavier

Three Pieces for Retuned Orchestra (1996) 20'

Lullaby (1996/97) 10'
für Posaune, Gitarre, Ensemble (7 Spieler) und Grammophon

Eight Pieces (1998) 12'
für Gitarrenquartett

Autumn Thoughts (1998) 10'
für Ensemble (6 Spieler)

Lieder ohne Worte und Passacaglia (1999) 17'
für Oboe, Fagott, Horn, Violine und Kontrabass