Manuela Kerer (*1980) É.TEMEN.AN.KI
[StrOrch] 2011 Dauer: 12-14'
Stellen Sie sich vor, Sie würden von einem Moment auf den anderen eine
komplett andere Sprache als alle anderen Menschen sprechen und könnten
mit niemandem mehr sprachlich kommunizieren: Eine grausame Vorstellung! Schließlich war diese „Sprachenverwirrung“ laut Altem Testament die Strafe, die Gott den Menschen beim Turmbau zu Babel auferlegte, da sie versuchten, ihm gleich zu kommen. Nun sehen Sie von der naheliegenden Grausamkeit aber ab und stellen sich die hochinteressanten Klänge vor, die unzählige, gleichzeitig gesprochene Sprachen hervorbringen könnten! Von diesem Prinzip gehe ich in É.TEMEN.AN.KI aus und übersetze es mit Hilfe meiner Sprache – der Musik – in eine ideelle musikalische Sprachverwirrung. É.TEMEN.AN.KI (sumerisch: „Haus der Fundamente von Himmel und Erde“) war eine dem babylonischen Reichsgott Marduk gewidmete Zikkurat (gestufter Tempelturm) in Babylon im 6. Jahrhundert v. Chr. und Vorbild für die biblischeErzählung vom Turmbau zu Babel. Unsagbar viele Geräusche und Klänge hat dieser Turm im Laufe der Jahrhunderte „gehört“. Ich versetze mich gewissermaßen in das innere und äußere Ohr des Turmes, mische das Gehörte zu musikalischen Momentaufnahmen von Ereignissen und Stimmungen, wobei der Aufführungsort selbst zu kompositorischem Element und gleichzeitig komplexem Musikinstrument wird. Für die klangfarblich gerasterte Partitur spielt Bewegung nämlich im übertragenen wie direkten Sinne eine wichtige Rolle.
(Manuela Kerer, Juli 2011)