Misato Mochizuki (*1969) Intermezzi V
[Va,Akk] 2012 Dauer: 10'
Uraufführung: Osaka/Japan, Phoenix-Hall, 23. Februar 2013
Erscheint Ende Januar 2025
32 Seiten | 23 x 30,5 cm | ISMN: 979-0-004-80338-7 | geheftet
Der Zyklus „Intermezzi“ (I für Flöte und Klavier; II für Koto solo; III für Schlagzeug solo; IV für Klarinette und Klavier als Vorspiel für die Sonate op. 120 Nr. 1 von J. Brahms; V für Viola und Akkordeon) wurde von der Theorie des „fragmentierten Diskurses“ von Roland Barthes (1915-1980) inspiriert. Nicht wenige seiner Bücher sind ohne vorherbestimmte argumentative Reihenfolge geschrieben und enthalten eine Menge diverser Themen, die aufeinander folgen; auf diese Weise ergeben sich im Laufe der Lektüre unerwartete Assoziationen. Diese rhetorische Form verkörpert die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Gedankenebenen, die gegenseitige Kollision und die Verdichtung von Konzepten. Auf einem Boden, der beständig in Bewegung ist, hat der aufmerksame Hörer keine andere Wahl, als eine neue Art der Synthese herzustellen. Ganz allmählich stellt sich mittels kleiner Gedankenschritte ein einheitlicher Blick her; er vollendet sich plötzlich und kristallisiert sich in einer neuen Perspektive. Vielleicht handelt es sich um eine elegante Art, das Unergründbare zu erfassen, indem man auf verständliche Weise die Vielzahl seiner Erscheinungsformen anhäuft. In der Art und Weise, in der meine Musik wahrgenommen wird, strebe ich nach einer ähnlichen Erfahrung, die mich von jeglicher strikten Planung von Form und Kompositionstechnik befreit. Meine musikalischen Ideen haben das Erscheinungsbild von Improvisationen, von nicht berechneten Prozessen: Meine Musik erhält ihren Sinn genau erst in dem Moment, in dem die Ereignisse sich abspielen.
Daher war das erste, was mir in den Sinn kam, als ich 2013 mit der Komposition von „Intermezzi V“ begann, das Prinzip der Biogenese, eine Theorie, gemäß derer der einzelne Lebenszyklus eines Tieres die Evolution seiner ganzen Art auf verdichtete Art reproduziert. Dieses Bild hat es mir erlaubt, die ungewöhnliche Kombination von Viola und Akkordeon im Hinblick auf seine Evolution in der Zeit aufzugreifen: die Viola ist ein altes und zugleich neues Instrument, das ungefähr seit dem 16. Jahrhundert existiert, wenn auch die Standardisierung ihrer Form und ihrer Rolle, besonders als Soloinstrument, sich erst relativ kürzlich etabliert hat. Das Akkordeon hingegen hat erst zu Beginn der modernen Epoche Gestalt angenommen; sein grundsätzliches Konzept reicht etwa 2500 Jahre zurück zur Shô, einer asiatischen Mundorgel, die aus einem Kreis von Bambusrohren besteht.
So frage ich mich, ob diese Evolutionen genauso linear und einseitig gerichtet sind, wie sie erscheinen; ich stelle mir eher vor, dass sie über gleichzeitige Umwege in unterschiedliche Richtungen voranschreiten, gleichmäßig und isotopisch nach dem Bild der Biogenese, wo alle Arten denselben Status und denselben Rang haben. Das ist ein bisschen wie bei Youtube, einem virtuellen Raum, wo die Vergangenheit und die Gegenwart miteinander in Dialog treten, und wo diverse konstitutive Elemente unserer Welt sich vereinigen können. Dies hallt wider in „den vielfältigen Denkweisen, die fragmentierte Formen hervorbringen, und den Gesetzen der visuellen Perspektive, die sich aus der Vielzahl der Blickwinkel ergeben“, die Roland Barthes so sehr am Herzen liegen.
(Misato Mochizuki)