José M. Sánchez-Verdú (*1968) Mural
[Orch] 2009 Dauer: 16'
2(Picc).B-Fl.2.Eh.2Kb-Klar.A-Sax(B-Sax).2.KFg - 4.3.3.1 - Pk.Schl(2) - Hfe. Akk - Klav - Str:14.12.10.8.6
UA: Köln, 4. Februar 2010
Warum haben Sie das Stück „Mural“ genannt?
Mural ist eine Oberfläche, auf die Schriften, Texte, Bilder, Farben geschrieben bzw. gemalt werden. In der Malerei sind das die Oberflächen an Mauern, an der Wand, wo etwas gemalt wird. Es gibt keine Übersetzung auf Deutsch. Mural kommt von „muro“, d. h. Wand, Mauer; Mural ist aber auch eine Oberfläche, auf der etwas dargestellt wird (Murales an der Cappella Sistina, Murales von Ribera in Mexiko, von Chagal in der MET in New York); Murales als eine Art Kunst, genau wie es in der islamischen Architektur und Ornamentik in der Innenarchitektur üblich ist.
In meiner Komposition hat es einen sehr wesentlichen Sinn: Ich liebe Schrift, Schrift als Ornamentik, als Struktur, als Prozess (schon meine dritte Oper, „GRAMMA“, hatte als Thema „Schrift“). Ich habe die Inspiration und die Assoziationen von diesem Bild: Mural als eine Summe von Schriften, eine Summe von Texten, Strukturen und Prozessen, die in einer musikalischen Ebene in der Zeit (was hier Zeit ist, ist in einem Mural der Raum) sich entwickeln und addieren. Komplexität in verschiedenen Ebenen ist ein Teil dieses musikalischen Konzepts. Auch die Partitur hat etwas von Mural: eine Oberfläche aus Papier, wo Schrift (und ihre klangliche Darstellung) im Raum bearbeitet wird.
Wie ist „Mural“ aufgebaut?
Die verschiedenen Prozesse und Strukturen erscheinen in der Zeit des Stücks. Erinnerung und Vergessen sind Teil dieses Prozesses. Die Überlappung, die Isolierung und die Auseinandersetzung von (musikalischen) Schriften usw. sind einige Aspekte dieser Arbeit. Ich habe einfach eine Musik geschrieben, die von Schrift beeinflusst wird: Schrift als Ornamentik, als Wiederholung von Mustern („patterns“), als Kalligrafie. Letztere hat mich sehr beeinflusst (Islam und Fernost). Ich habe so etwas wie einen Kalligraf auf einer Oberfläche verarbeitet. Raum und Oberfläche (Partitur) werden hier in der Dimension Zeit und Hören zur Erfahrung gemacht.
Mit welchen Stilmitteln oder Kompositionstechniken arbeiten Sie?
Ich baue sehr oft neue Instrumentenklänge mit traditionellen Instrumenten, d. h. mein Orchesterklang wird durch Prozesse und Strukturen bestimmt, in denen es nicht oft einfach ist, die einzelnen Instrumente zu erkennen und zu differenzieren. Es ist wie eine neue Dimension des Orchesters, ein Versuch, einen neuen Klang zu erreichen. Da der Referenzpunkt Schrift, Mauer, Ornamentik und der Inhalt dieses Raumes (Partitur oder Zeit) ist, hängt die Orchestrierung in diesem Stück stark von verschiedenen Komplexitätsebenen ab: genau wie es in einem Mural möglich ist. Manchmal wird die ganze Oberfläche total erfüllt (Martin Walser versuchte in den letzten Jahren in der Literatur etwas Ähnliches auf Papier).
Wie lange haben Sie an dem Stück gearbeitet?
Seit einem Jahr bin ich schon an dieser Idee dran, und langsam wurde mir immer klarer, wie die „Schrift“ möglich ist. Als ich mein letztes Theaterstück „AURA“ im Mai fertig hatte, habe ich mich besonders und hauptsächlich auf dieses Stück konzentriert.
Die Arbeit mit der Ornamentik, mit der Oberfläche kommt mir insbesondere durch die Beschäftigung mit dem Islam sehr entgegen. Die islamische Kunst (Malerei, Ornamentik – z. B. die Alhambra in Granada) arbeitet mit diesen Elementen: Wiederholung im Material, Symmetrien, Geometrie als Entwicklung des Materials, Ornamentik und semantischer Inhalt. Gleichzeitig gibt es die Unregelmäßigkeit in den Prozessen, der Oberfläche – manchmal kommt es zu einer Übersättigung des Raums. Alle diese Elemente sind immer sehr nah in meiner Arbeit als Komponist.
(Interview von Carola Anhalt mit dem Komponisten im Dezember 2009 – Abdruck im Programmheft der Uraufführung in Köln, 4. Februar 2010)
CD:
Janáček Philharmonic Orchestra Ostrava, Ltg. Zsolt Nagy
CD polmic 118