José M. Sánchez-Verdú (*1968) Aura
Musiktheater nach Carlos Fuentes' gleichnamiger Erzählung 2007-2009 Dauer: 80' Text: Carlos Fuentes
Soli: SMezTBarB – Paetzold-KbBlfl.Fl(Picc.BFl) – Tuba – 2Akk – 2Vl.Va.Vc.Kb – Live-Elektronik (Auraphon)
Uraufführung: Madrid, 30. Mai 2009
Einzeln erhältlich und aufführbar sind daraus Sánchez-Verdús Aura-Studien sowie Engel-Studien.
Libretto: José M. Sánchez-Verdú nach der gleichnamigen Erzählung (1962) von Carlos Fuentes
Auftragswerk der Musik der Jahrhunderte Stuttgart, der Neuen Vocalsolisten, des Festival Musicadhoy Madrid und der Biennale di Venezia
Ort: Felipes Ankunft (Introduktion), Esszimmer (Szenen 2, 4, 5), Consuelos Zimmer (Szenen 1, 3, 6, 11), Küche/Esszimmer (Szene 7), Auras Zimmer (Szene 8), Auf dem Flur (Szene 9), Felipes Zimmer (10)
Personen: Aura (lyrischer Sopran) Consuelo (Mezzosopran) Felipe (Bass) 2 Stimmen aus der Ferne (Tenor, Bariton)
Instrumente: Fl(Picc.BFl).PaetzoldBlfl(weitere Blfl) BTuba 2Akk 2Vl.Va.Vc.Kb Auraphon (= Live-Elektronik, akustische Resonanz als Teil der Bühne)
Aura ist mein fünftes Musiktheaterwerk. Es basiert auf einer Erzählung von Carlos Fuentes (* 1928), einem der innovativsten Autoren der spanischsprachigen Literatur. Fuentes entwickelt in diesem Meisterwerk ein dunkles und dichtes psychologisches Ambiente innerhalb eines konsequent geschlossenen Hauses. Das Haus agiert, wie das Musiktheater, als Resonanzraum, als akustisches und architektonisches Element. Dunkelheit und Einsamkeit prägen die ganze Atmosphäre und Dramaturgie des Textes.
Die drei Personen des Romans gehen parallel auf ein Ende zu, das gleichzeitig einen Anfang etabliert wie eine ewige Wiederkehr. Es handelt sich um eine erotische und fantastische Handlung, nicht weit entfernt von einem Thriller. Die Handlung ist voll innovativer dramatischer und literarischer Elemente, und daraus entfaltet sich akustisch und musikalisch eine extreme Musik- und Raumvorstellung.
Um diese Raumakustik zu entwickeln, wird ein neues Instrument notwendig: das Auraphon. Es handelt sich um eine Bühne-Installation, die musikalisch auf der Bühne mit den Personen und Instrumentalisten agiert. Die dramatische Entwicklung des Auraphons wird von einem Techniker (in direkter Verbindung mit Partitur und Regie) im Saal kontrolliert und manipuliert. Der Saal wird in der Partitur in Zusammenhang mit der Dramaturgie, den Gesten und Bewegungen und allen übrigen Parametern im musikalischen und theatralischen Raum notiert.
Das Auraphon basiert auf verschiedenen Schlaginstrumenten (Tam-Tams, Gongs, Stahlplatte usw.), die unabhängig von den Aktionen der Instrumentalisten mitklingen (ausgelöst durch zwei technische und elektronische Prozesse). Dieser Autoimpuls erfolgt elektronisch entweder direkt vom Mischpult oder indirekt durch die Interaktion zwischen den akustischen Instrumenten und seinen Signalen (durch Mikrophone und Lautsprecher etc.), die wiederum durch das Mischpult im Auraphon gesteuert werden.
Die Entwicklung des Auraphons wird seit einigen Monaten im Experimentalstudio für akustische Kunst in Freiburg gemacht. In Rahmen der Inszenierung und Ausstattung agiert das Auraphon eher unabhängig und wird manchmal fast nicht wahrgenommen: die Bühne klingt für sich allein, in ihrer Aura. Diese Aura ist elektronisch erzeugt, und es kommt hinzu, dass sie auch durch die Mikrophone einiger Vokal- und Instrumentalsolisten indirekt produziert wird.
Durch die Bezüge und die Interaktion zwischen Raum, Instrumentalsolisten, Personen und Mischpult wird versucht, ein umfassendes Konzept von Musik, Dramaturgie und Raum zu schaffen. Die Aktionen der Personen beeinflussen das Auraphon, was sich wiederum akustisch und visuell auch auf die Bühne auswirkt. Raum und Architektur werden zur Hauptebene des Theatralischen und Musikalischen. Das Publikum sieht sich mit einem Raum und dessen akustischen und visuellen Qualitäten und Möglichkeiten konfrontiert.
Das Projekt spielt mit dem Konzept Aura als einer Kategorie, der musikalisch eine entscheidene Rolle zukommt. Aura als Klangschatten, als Farbstrahlung, als Resonanz oder Echo alles wird musikalisch, oder noch konkreter: akustisch unter diesem Aspekt erzeugt. Die Gesten, Bewegungen, die Lichtkonzeption und die musikalischen Elemente des Projektes werden durch das Auraphon integriert und zusammengefasst.
Instrumente wie die Paetzoldblockflöte (wegen seiner Resonanzen und Klangfarben fast ein elektronisches Instrument) oder auch und vor allem das Akkordeon-Duo, zusammen mit der Behandlung der Streichinstrumente, der Tuba usw., versuchen, eine musikalische Aura zu entwickeln, eine Konzeption, die wie ein Hauch, ein Schatten, die dramaturgische Entwicklung des Musiktheaterstücks oft am Rande der Wahrnehmung in einem konkreten Raum darstellt.
Die Instrumentalisten sind um die Bühne positioniert. Dort befinden sich die drei Personen und das Auraphon. Einige Instrumentalisten bewegen sich bzw. ändern ihre Position während der Aufführung. Die Raumdisposition spielt auch mit den verschiedenen Distanzen: Tuba und die Stimmen aus der Ferne sind weiter entfernt, hinter der Bühne. Gleichzeitig sind Paetzoldblockflöte und Flöte je auf einer Ecke vorne auf der Bühne. Etwas dahinter sitzen links und rechts die beiden Akkordeonisten. Ganz vorn, im etwas erhöhten Graben bzw. vor der Bühne sind die fünf Streicher platziert. Diese Konstellation der Klangquellen im Raum ist für die Inszenierung, Ausstattung und Realisierung der Partitur sehr wichtig. Der Zuhörer nimmt das Stück in einer mehrdimensionalen Perspektive wahr. Durch das Auraphon wird diese Wahrnehmung weiterentwickelt: die Interaktionen durch Mikrophone, Lautsprecher und die Aura des Auraphons erzeugen eine komplexe und extrem psychologische Wahrnehmung des Klanges, seiner Bewegungen und Interaktionen. Die drei Personen agieren gleichzeitig in dieser mehrdimensionalen Hörerfahrung, in dieser dichten Komplexität, die dem Roman und seiner Tiefe entspricht. So entsteht durch die Regie eine homogene Entwicklung durch die verschiedenen Hörprozesse und Gestaltungen im Raum.
(José M. Sánchez-Verdú, 2008)
Bibliografie:
Sánchez-Verdú, José M.: Schrift und Aura im Musiktheater, in: Neue Musik in Bewegung. Musik- und Tanztheater heute, hrsg. von Jörn Peter Hiekel (= Veröffentlichungen des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt, Band 51), Mainz u.a.: Schott 2011, S. 79-101.
1. Introduktion |
2. Szene Nr. 1 |
3. Interludio I (instrumental = Aura-Studie I) |
4. Szene Nr. 2 |
5. Szene Nr. 3 |
6. Interludio II (instrumental = Aura-Studie II) |
7. Szene Nr. 4 |
8. Szene Nr. 5 |
9. Interludio III (instrumental = Aura-Studie III) |
10. Szene Nr. 6 |
11. Szene Nr. 7 |
12. Szene Nr. 8 |
13. Szene Nr. 9 |
14. Szene Nr. 10 (= Engel-Studien) |
15. Szene Nr. 11 |