Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) Lieder
Urtext nach der Leipziger Mendelssohn-Gesamtausgabe herausgegeben von Christian Martin Schmidt [Singst,Klav]
Diese Ausgabe zählt zweifellos zu den wichtigsten Neuerscheinungen des Mendelssohn-Jahres 2009. Die interessierten Interpreten können nun endlich alle Mendelssohn-Lieder nach einem verlässlichen Urtext einstudieren.
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„Die drei Bände sollten in keiner Bibliothek einer Musikhochschule fehlen.“ (Sibrand Basa, Vox Humana)
„Die Ausgabe bietet optimale Voraussetzungen, um Mendelssohns Liedern den Weg aus der Schublade in die Salons, Konzertsäle und Wohnzimmer unserer Zeit zurückzubahnen.“ (Die Tonkunst)
Die Inhaltsverzeichnisse und Hörbeispiele finden Sie bei den Informationen zu den einzelnen Bänden.
Auszug aus dem Vorwort zu allen drei Bänden
Die Komposition von Liedern und Gesängen begleitete Felix Mendelssohn Bartholdy sein ganzes Leben hindurch. Schon als Zehnjähriger verfasste er mit dem „Lied zum Geburtstage meines guten Vaters“ die früheste seiner Kompositionen, deren Entstehungszeit sicher ist; sie war Teil eines Gemeinschaftsgeschenks der älteren Kinder an den Vater Abraham zum 11. Dezember 1819, zu dessen gewiss im Familienkreis gedichtetem Text Ihr Töne, schwingt euch fröhlich durch die Saiten Felix’ vierzehnjährige Schwester Fanny ebenfalls ein Lied schrieb. Und noch in den Wochen vor seinem Tode am 4. November 1847 widmete sich Mendelssohn mit unverminderter Intensität der Gattung Lied. Im Zuge der Druckvorbereitungen seiner letzten Liedsammlung op. 71 komponierte er am 22. September des Jahres die Nr. 3 dieses Opus „An die Entfernte“ nach Nikolaus Lenau; und noch am 7. Oktober entstand mit „Altdeutsches Frühlingslied“ aus Des Auszug auf dem VorwortKnaben Wunderhorn die letzte Komposition.
Mendelssohns ästhetische Auffassung der Gattung Lied war zu keiner Zeit – anders etwa als die des späten Schubert, die von Brahms oder Hugo Wolf – allein auf einen hohen Kunstanspruch gerichtet, sondern beinhaltete potentiell immer auch eine soziale Komponente. Die Gattung bot ihm einen Bereich der künstlerischen Produktion, der angesichts der Dimension der Werke besonders geeignet erschien, den geselligen Umgang zu pflegen, Geschenke zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Geburten zu machen, den Dank für eine erwieseneWohltat zum Ausdruck zu bringen usf. Daher rührt die überaus große Zahl an Quellen in dieser Gattung, denn der Komponist kopierte seine Lieder nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern kam auch Bitten um Albumblätter oder Stammbucheintragungen bereitwillig nach. So waren diese seine Werke nicht für das große Konzert, sondern für das häusliche Musizieren bestimmt: Sie waren keine öffentlichen, sondern bestenfalls veröffentlichte Kunstwerke. Daher rührte auch Mendelssohns große Zurückhaltung, die Kompositionen zum Druck freizugeben, eine Haltung, die er bei den Liedern entschiedener noch als in anderen Gattungen einnahm. Die 56 Werke, die zu seinen Lebzeiten erschienen, stellen knapp die Hälfte des überlieferten Bestandes dar.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Art, wie Mendelssohn mit den vertonten Texten umging, denn er hielt sich keineswegs strikt an die Vorlagen, sondern verfuhr nach einer Art „romantischer Aneignung“. Dies gilt sowohl für die Strophenzahl und die konkrete Formulierung des Textes als auch und insbesondere für die Titelgebung. Mendelssohn komponierte seine Lieder zumeist nach dem dreistrophigen Formschema A–A–B; wies die Gedichtvorlage mehr als drei Strophen auf, so traf er eine Auswahl. Dies zeigt – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – die Heine-Vertonung Was will die einsame Träne, die von den vier Strophen der Vorlage nur die 1., 2. und 4. übernimmt. Dasselbe Lied dokumentiert aber auch Mendelssohns Tendenz, den Text von allzu ausdrucksstarken, persönlich bezogenen Einzelheiten zu entlasten: Heine schreibt in der 2. Strophe mit meinen Qualen und Freuden, Mendelssohn dagegen mit ihren Schmerzen und Freuden. Während Heines Gedicht keinen Titel aufweist, nennt Mendelssohn sein Lied „Erinnerung“ und unterstreicht damit die von ihm intendierte distanzierte Perspektive. Einen Extremfall in dieser Hinsicht bietet das Lied Mein Liebchen, wir saßen beisammen, ebenfalls nach Heine. Zwar konnte hier das dreistrophige Gedicht vollständig übernommen werden, die Eingriffe in den Text aber sind vielfältig und wechseln immer wieder zwischen den wenigstens sieben Fassungen des Liedes. Besonders auffällig ist eine Änderung, die Mendelssohn im letzten Satz des Gedichts anbringt. Bei Heine lautet dieser: Wir aber schwammen vorüber, trostlos auf weitem Meer, Mendelssohn dagegen ersetzt trostlos – und dies in allen Fassungen gleichermaßen – durch allein und verzichtet damit auf die für Heine typische Pointe, die scheinbar idyllische Stimmung durch ein einzelnes Wort zu konterkarieren. Auch hier ergänzt der Komponist einen Titel, der bei Heine fehlt, und zwar in großer Variabilität: Das Lied heißt entweder „Im Kahn“ oder „Auf dem Wasser“ oder „Wasserfahrt“.
Berlin, Herbst 2008