José M. Sánchez-Verdú (*1968) Alqibla
[Orch] 1998 Dauer: 16'
3.3.3.3. – 4.3.3.1. – Schl(4) – Klav – Str: 14.12.10.8.6.
UA: Berlin (Young-Euro-Classic Festival), 26. August 2000
Alqibla wurde 1998 für großes Orchester geschrieben und 1999 mit dem ersten Preis der Jungen Deutschen Philharmonie ausgezeichnet. Das arabische Wort alqibla bezeichnet den Punkt am Horizont, den muslimische Gläubige beim Beten vor Augen haben. Dieser in Richtung Mekka weisende Punkt dient seit zwölf Jahrhunderten zur Ausrichtung sowohl der Moscheen als auch der muslimischen Gräber. Für Sánchez-Verdú repräsentiert Alqibla zudem den Blick auf den Mittelmeerraum und seine Kulturen und, wie er sagt, das weißblaue Licht des Südens. Das Stück ist aus zwei Teilen gebaut, die unmerklich ineinander übergehen, jedoch grundverschieden sind. Der erste Teil besteht aus sich langsam entwickelnden Klanggeweben, ist also eher horizontal ausgerichtet. In Bezug auf das Material dieser Gewebe könnte man fast von Minimalismus in seiner ursprünglichen Bedeutung sprechen: es ist geprägt von einer sehr sparsamen Verwendung der Mittel und der Wiederholung als Konstruktionsprinzip. Im zweiten Teil bricht dieses Gewebe auf und zerspringt in eine Vielzahl von kleinen Elementen Töne und Geräusche , die kaleidoskopartig immer neue Verbindungen eingehen. Dieser zweite Teil ist voller Kontraste und erzeugt eine enorme Spannung, die im Gegensatz zum ersten, eher ruhig verlaufenden Teil steht.
Der Partitur vorangestellt sind sieben jarchas, die im ersten Teil bruchstückhaft von verschiedenen Instrumentalisten geflüstert werden. Der so entstehende klangliche Eindruck erzeugt bei den Hörern individuell verschiedene innere Bilder Hörerlebnis und eigene Imagination vermischen sich, treten miteinander in einen Dialog, dessen Resultat stets ein höchst persönliches ist. Die in einer Vorform des Spanischen verfassten jarchas bilden die Schlußverse der arabischen und manchmal auch hebräischen muwassahas, die in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts von einem Dichter aus Cabra bei Córdoba erfunden wurden. Für Sánchez-Verdú sind diese Frauenlieder ein Beispiel für den fruchtbaren Dialog zwischen den Kulturen, wie er zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort möglich war: Unter dem christlichen König Alfonso dem Weisen wurden im Toledo des 13. Jahrhunderts griechische Texte des Aristoteles zunächst ins Arabische und anschließend von jüdischen Übersetzern ins Lateinische und damit den Rest Europas gebracht.
(Susanne Thiemann)
CD:
Real Orquesta Sinfónica de Sevilla, Ltg. Juan Luis Pérez
CD Almaviva DS-0147
Junge Deutsche Philharmonie, Ltg. Lothar Zagrosek
CD Kairos 0012782KAI