Helmut Lachenmann (*1935) SERYNADE
Musik für Klavier [Klav] 1997/98 Dauer: 30'
Uraufführung der unvollständigen Fassung: Akiyoshidai, 27. August 1998
Uraufführung der vollständigen Fassung: Stuttgart (Eclat-Festival), 13. Februar 2000
44 Seiten | 23 x 30,5 cm | 186 g | ISMN: 979-0-004-18127-0 | geheftet
Das erste große Klavierwerk Lachenmanns
Der Titel „SERYNADE“ erklärt sich leicht: in die bekannte Gattung „Serenade“ hat sich mit dem „Y“ der Anfangsbuchstabe der Widmungsträgerin Yukiko Sugawara eingeschmuggelt. Die japanische Pianistin hat „SERYNADE“, das erste groß angelegte Klavierstück Helmut Lachenmanns, inzwischen auf vielen internationalen Konzertpodien mit durchschlagendem Erfolg vorgestellt.
Anmerkungen zur Verstärkung des Nachhalls:
In Sälen, in denen die Flageolett-Nachhalle nicht gut hörbar sind, bzw. bei Flügeln, die nur schwache Flageolett-Nachhalle von sich geben, muss dem abgeholfen werden durch Mikrophonierung bzw. elektrische Verstärkung der Resonanzen.
Benötigt werden hierzu:
- ein Grenzflächen-Mikrophon, PZM/CROWN, das an am besten geeigneter Stelle, im Steinway-D-Flügel im Innern in der Nähe des dritten Schall-Loches, also nahe der „Bucht“ etwa auf der Höhe der Saiten für g1, platziert werden muss.
- ein Lautsprecher von hoher Qualität, der unter den Flügel gestellt wird und nach hinten schräg aufwärts abstrahlt.
- ein Röhrenkompressor mit kurzen Attack-Zeiten mit einem guten Equalizer (parametrischer Equalizer), mit Regler für Frequenz, Gain und Bandbreite, um die anfallenden Rückkopplungsfrequenzen zu eliminieren - notfalls kann auch ein graphischer Equalizer benutzt werden.
Eine entsprechende Technikprobe muss vorgesehen werden.
(Helmut Lachenmann, 1999)
Das Klavier ist eines derjenigen Instrumente, an denen sich zentrale Momente der Kompositionsästhetik Helmut Lachenmanns in besonderer Weise manifestiert haben. Hatte er mit „Guero“ aus dem Jahr 1970 das Instrument (in traditionellem Sinne) vollkommen „enttont“ und sich dem planen Schönklang „verweigert“, so schließt die „Serynade“, die 1998 in Japan uraufgeführt wurde, an Kompositionen wie „Echo andante“ (1962) und die „Kinderspiel“-Stücke (1980) an. Das Geräuschhafte tritt hier zugunsten einer hochdifferenzierten Erkundung des angeschlagenen, „orthodoxen“ Klavierklangs zurück, ohne dass der Klavierkörper an sich von konstitutiver Bedeutung wäre, wie dies etwa für den Bereich der Tastatur in „Guero“ gilt.
Durch die dynamisch differenzierte Metamorphose isolierter Töne bzw. Akkorde in der „pedaliter“ suspendierten Zeit entstehen Klangfelder, die in ihrem Nachhall changieren, niedergedrückte Tasten modulieren das „sostenuto“, Resonanzen und Flageoletts verselbstständigen sich und machen sich auf den Weg zu einer „neuen Art von Melos“ (Lachenmann), oder, um mit Ferruccio Busoni zu sprechen: „... es schwebt! Es berührt nicht die Erde mit seinen Füßen. Es ist nicht der Schwere unterworfen. Es ist fast unkörperlich. Seine Materie ist durchsichtig. Es ist tönende Luft. Es ist fast die Natur selbst. Es ist frei.“ („Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst“, Triest/Leipzig 1907/16)
Doch auch gleichsam „nackte“ Töne erklingen, viruos inszenierte und „fortissimo“ herausgestanzte zumal. Zwischen solchen ineinanderfließenden Extremen bewegt sich „Serynade“, das exorbitante Ständchen Lachenmanns für seine Frau, die Pianistin Yukiko Sugawara (auf die der klangmodulierte Titel weist). Vielleicht auch beschwören die schattenreichen Saitenklänge indirekt das lebensweltliche Obligatinstrument dieser Gattung herauf, das freilich nun nicht gerade zu denjenigen gehört, an denen Lachenmann seine Ästhetik mit Vorliebe exemplifizierte: die Gitarre.
(Horst A. Scholz, 1999)
CDs:
Yukiko Sugawara (Klavier)
CD Wergo WER 73672
CD KAIROS 0012212KAI
CD WERGO WER 7367 2
Marino Formenti (Klavier)
CD Col legno WWE 20222
Bibliografie:
Abbinanti, Frank: Sections of Exergue/Evocations/Dialogue with Timbre, in: Helmut Lachenmann – Inward Beauty, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 23 (2004), Heft 3/4, S. 81-90.
Formenti, Marino: Serynade, in: Programmbuch „back to the future. rainy days 2010“, Philharmonie Luxembourg 19.-28.11.2010, S. 150f.
Guigue, Didier: L'Ars subtilior
de Lachenmann. Une incursion dans l'univers sonore de „Serynade“, in:
Esthétique de la sonorité. L'héritage de Debussy dans la musique pour
piano du XXe siècle, Paris: L'Harmattan 2009, S. 291-384.
Hodges, Nicolas (in conversation with Tom Service): Expressivity and Critique in Lachenmann's “Serynade”, in: Helmut Lachenmann – Music with matches, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 24 (2005), Vol. 1, S. 77-88.
Hüppe, Eberhard: Topographie der ästhetischen Neugierde. Versuch über Helmut Lachenmann, in: Nachgedachte Musik. Studien zum Werk von Helmut Lachenmann, hrsg. von Jörn Peter Hiekel und Siegfried Mauser, Saarbrücken: Pfau 2005, S. 85-104.
Pace, Ian: Lachenmann's “Serynade” – Issues for Performer and Listener, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 24 (2005), Vol. 1, S. 101-112.