Siegfried Thiele (*1934) Tutti ricercano un re
[Fl,Vl,Vc] 2000 Dauer: 7'
Uraufführung: Perugia/Italien, 3. Mai 2000
32 Seiten | 23 x 30,5 cm | 148 g | ISMN: 979-0-2004-8311-6 | geheftet
Die Musik des 1934 in Chemnitz geborenen Komponisten Siegfried Thiele steht im Ruf, von typisch französischen Eigenschaften durchdrungen zu sein: namentlich von ästhetischen Qualitäten wie Esprit und Eleganz. Dazu passend gibt es in einigen Werken Thieles sublime Anspielungen auf Claude Debussy, also gerade auf jenen Komponisten, der wie kaum ein anderer als Schöpfer einer typisch französischen Musik gilt. Doch ist das sicher nur eine der Dimensionen von Thieles Komponieren. Ein breiterer gemeinsamer Nenner vieler seiner Werke besteht wohl darin, dass sie auf Originalität und Frische zielen, doch zugleich auch mancherlei musikgeschichtliche Perspektiven reflektieren.
In der 1999 entstandenen Komposition „Tutti ricercare un re“ gilt das in mehrfacher Hinsicht. Dies hängt zunächst mit dem Entstehungsanlass zusammen: Thiele schrieb das Werk auf Anregung eines Trios um den Leipziger Cellisten Siegfried Pank für eine Konzertreise durch Italien. Es war damals verschränkt mit Sätzen aus Bachs berühmtem „Musikalischen Opfer“. Doch jenen Regenten, dem Bachs Werk huldigt, scheint Thieles Trio erst einmal aufspüren zu wollen. Wörtlich übersetzt nämlich heißt der Titel „Alle suchen einen König“. Freilich ist es typisch für Thiele, dass der Titel doppeldeutig gehalten ist und noch eine andere Übersetzung nahelegt: das „re“ verweist nämlich auf den Tonbuchstaben d. Mit diesem Ton treibt das Stück tatsächlich ein hintersinniges Spiel. Erst wird er konsequent vermieden, also „gesucht“. Doch dann in der Schlussphase dominiert er plötzlich. Für Thieles Musik sind solche originellen spielerischen Konzepte sicher bezeichnend. „Übungen im Verwandeln“ heißt eines seiner Stücke, „Jeux“ (Spiel) ein anderes.
In „Tutti ricercare un re“ ist dabei noch eine Perspektive wesentlich, die auch in anderen Werken des Komponisten anzutreffen ist. Diese betrifft die Phasen weitgehender metrischer Freiheit. Die „Suche“ des kurzen Stückes nämlich vollzieht sich zunächst so, dass jeder der drei Instrumentalisten über weite Strecken für sich spielt, mit festgelegten Tonhöhen-Abläufen, doch ohne unmittelbaren metrischen Bezug zu den anderen Stimmen. Die „Suche nach dem König“ ist, so könnte man diesen Ansatz deuten, gewissermaßen eine Beleuchtung der Frage nach Gemeinsamkeiten, nach einer verbindlichen Basis. Dabei gibt es im Laufe des Stückes unterschiedliche Grade der Annäherung und Koordinierung. Der Reiz liegt nicht zuletzt darin, dass das Gesuchte nicht in billiger Weise vorschnell glückt: noch kurz vor Schluss laufen die Metren der Musiker nahezu unversöhnlich nebeneinander her. Und selbst das glückliche Ende entbehrt nicht einer gewissen Doppeldeutigkeit.
Jörn Peter Hiekel