Helmut Lachenmann (*1935) Mouvement (– vor der Erstarrung)
[KamEns] 1983/84 Dauer: 24'
Fl(Picc).AFl(Picc).2Klar(B-Klar).B-Klar – 2Trp – Pk.2Xylorimba – 3 bzw. 1 ad hoc-Spieler – 2Va.2Vc.Kb
Uraufführung: Paris, 12. November 1984
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Eine Musik aus toten Bewegungen, quasi letzten Zuckungen, deren Pseudo-Aktivität: Trümmer aus entleerten – punktierten, triolischen, motorischen – Rhythmen selbst schon jene innere Erstarrung anzeigt, die der äußeren vorangeht. (Die Phantasie, die vor empfundener Bedrohung alle expressiven Utopien aufgibt und wie ein Käfer, auf dem Rücken zappelnd, erworbene Mechanismen im Leerlauf weiter betätigt, deren Anatomie und zugleich deren Vergeblichkeit erkennend und in solchem Erkennen Neuanfänge suchend.)
Die inszenierten Stadien des Werks, von der „Arco-Maschine“ über „flatternde Orgelpunkte“, „Zitterfelder“ und „gestoppte Rasereien“ bis zum geklopften „Lieben Augustin“ und anderen daraus sich verselbständigenden Situations-Varianten: Sie orientieren sich durchweg an den daran gebundenen äußeren mechanischen Vorgängen und machen die leere Stofflichkeit der beschworenen Mittel (auch der abstrakten, zum Beispiel intervallischen) bewußt als Kontrapunkt zu deren gewohnter, inhaltslos gewordener Expressivität.
Leben enthält diese Musik als Vorgang der Setzung und der Zersetzung. Solche Zersetzung wird nicht als Naturereignis prozeßhaft inszeniert oder gar zelebriert, sondern durch strukturelle Brechung der Klangmittel vielfach angedeutet (zum Beispiel durch „melodische“ Abwandlung des Klirrfaktors bei geschlagenen Figuren, durch Steuerung der Dämpftechniken usw.). Dabei konnte es trotz der Verlockung, mitten im Bereich vertrauter Sprachmittel durch deren Verfremdung und Austrocknung wieder mit „unberührten“ Klängen zu komponieren, nicht bei solcher Flucht in die Exotik des Verfremdeten bleiben: Erst am erneut einbezogenen unverfremdeten Klang muß sich erweisen, daß es nicht um bloße Brechung des Klingenden außerhalb, sondern um Aufbrechen und Aufbruch der Wahrnehmungspraxis in uns selbst geht.
(Helmut Lachenmann, 1984)
CDs/LP:
Klangforum Wien, Ltg. Hans Zender, Schola Heidelberg, ensemble aisthesis, Ltg. Walter Nußbaum
CD KAIROS 0012202KAI
Ensemble Modern, Ltg. Peter Eötvös
CD ECM New Series 1789 461949-2
Klangforum Wien, Ltg. Hans Zender
CD KAIROS 0011012KAI
Ensemble Modern, Ltg. Peter Eötvös
LP HM 713 D
Bibliografie:
Cavallotti, Pietro: Präformation des Materials und kreative Freiheit. Die Funktion des Strukturnetzes am Beispiel von „Mouvement (- vor der Erstarrung)“, in: Nachgedachte Musik. Studien zum Werk von Helmut Lachenmann, hrsg. von Jörn Peter Hiekel und Siegfried Mauser, Saarbrücken: Pfau 2005, S. 145-170.
Febel, Reinhard: „… Das Bist Du“. Zur Musik von Helmut Lachenmann, in: Reinhard Febel, Alles ständig in Bewegung. Texte zur Musik 1976-2003, hrsg. von Rainer Nonnenmann (= Quellentexte zur Musik des 20./21. Jahrhunderts 11.1), Saarbrücken: Pfau 2004, S. 168-180.
Hiekel, Jörn Peter: Helmut Lachenmann und seine Zeit, Laaber: Laaber 2023, S. 298-322.
Hockings, Elke: All Dressed Up and Nowhere to Go, in: Helmut Lachenmann – Music with matches, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 24 (2005), Vol. 1, p. 89-100.
Lück, Hartmut: Philosophie und Literatur im Werk von Helmut Lachenmann, in: Der Atem des Wanderers. Der Komponist Helmut Lachenmann, hrsg. von Hans-Klaus Jungheinrich, Mainz: Schott 2006, S. 41-55.
Shaked, Yuval, „Wie ein Käfer, auf dem Rücken zappelnd“. Zu „Mouvement (- vor der Erstarrung)“ von Helmut Lachenmann, in: MusikTexte 8 (1985), S. 9-16.