Helmut Lachenmann (*1935) Accanto
Musik für einen Klarinettisten mit Orchester [Klar,Orch] 1975/76 Dauer: 26'
Solo: Klar – 2.0.3.0.Kfg – 0.2.2.1 – Pk.Schl(2).Xylorimba – E-Git – Klav – Str: 20.0.8.6.4 – Tb
Uraufführung: Saarbrücken (Musik im 20. Jahrhundert), 30. Mai 1976
Uraufführung der EMO-Fassung: Berlin, 24. Januar 2006
Zur DVD mit Lachenmann-Interview, Teilproben und Aufführung
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Gleichzeitig mit dem Stück läuft „insgeheim“ ein Band mit dem Mozartschen Klarinettenkonzert ab, es wird von Fall zu Fall in bestimmten Rhythmen eingeblendet. Dabei ist klar, daß gerade dort, wo sie im Zusammenhang ihres eigenen strukturellen Ablaufs diese andere Klangwelt „anzapft“, meine Musik sich erst recht von jener vertrauten Sprache entfernt. Indessen ist dies lediglich eine Spielart unter anderen. Die Dialektik von Schönheit als verweigerter Gewohnheit ist in meiner Musik nicht neu. Neu ist der konkrete, quasi paradigmatische Bezug auf ein einzelnes Werk beziehungsweise auf eine bestimmte Gattung. Zerstörerischer Umgang mit dem, was man liebt, um sich dessen Wahrheit zu bewahren: Gerecht wird man diesem paradoxen Vorgang nur, wenn man die gesellschaftliche Situation mitbedenkt, deren Tabus sich auf immer kompliziertere Weise verfestigt haben, wobei man sich auf dieselben historischen Kunstwerke beruft wie unsereiner. Das Mozartsche Klarinettenkonzert ist mir Inbegriff von Schönheit, Humanität, Reinheit, aber auch - und zugleich - Beispiel eines zum Fetisch gewordenen Mittels zur Flucht vor sich selbst; eine „Kunst“, scheinbar „mit der Menschheit auf Du und Du“, in Wirklichkeit zur Ware geworden für eine Gesellschaft mit der Kunst auf Oh und Ah. Mit allen darauf orientierten kompositionstechnischen Reflexionen und Material-Ableitungen wurde es so zum verborgenen Bezugspunkt, um den meine Musik den paranoischen Bogen der Verehrung und der angstvollen Liebe macht. Mein Stück ist accanto: daneben.
(Helmut Lachenmann, 1976)
CD/LP/DVD:
Eduard Brunner (Klarinette), SWF-Sinfonieorchester, Ltg. Zoltan Pesko
CD col legno Au 31836
Eduard Brunner (Klarinette), Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, Ltg. Hans Zender
LP Wergo WER 60122 / CD Wergo WER 67382
Nina Janßen-Deinzer (Klarinette), Philharmonie Zuidnederland, Ltg. Bas Wiegers
DVD „Lachenmann-Perspektiven 1“ (Breitkopf & Härtel, BHM 7811)
Bibliografie:
Böggemann, Markus: Steinbruch und stille Liebe. Mozart in der Musik der Gegenwart (Lachenmann – Huber – Herrmann), in: Rückspiegel. Zeitgenössisches Komponieren im Dialog mit älterer Musik, hrsg. von Christian Thorau, Julia Cloot und Marion Saxer (= Frankfurter Studien 13), Mainz: Schott 2010, S. 104-115.
Brunner, Eduard: krawall im saal. Eduard Brunner über seine Erfahrungen mit der Musik von Helmut Lachenmann und die Zusammenarbeit mit dem Komponisten, in: Neue Zeitschrift für Musik 167 (2006), Heft 1, S. 32f.
Galindo Agundez, Antonio: Konflikte in der Interpretation zeitgenössischer Musik. Brunner-Lachenmann: eine Fallstudie, in: rohrblatt 27 (2012), Heft 1, S. 25-30.
Houben, Eva-Maria: Erinnerung als Herausforderung. Utopisches Potenzial in Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, in: Neue Zeitschrift für Musik 177 (2016), Heft 1, S. 26-29.
Hufschmidt, Wolfgang: Musik über Musik. Helmut Lachenmann: „Accanto“, in: Reflexionen über Musik heute. Texte und Analysen, hrsg. von Wilfried Gruhn, Mainz 1981, S. 254-256, 270-278.
Klingenschmitt, Patrick: Das musikalische Zitat als Problem von Referentialität, Intertextualität und Semantik. Versuch einer Systematik mit Beispielen aus der Neuen Musik, Magisterarbeit Mainz 2011, S. 55-62.
Meyer, Thomas: Furcht und Verlangen. Helmut Lachenmann, „composer-in-residence“, in: Musik & Theater 25 (Special-Edition Lucerne Festival 2005), S. 20-23.
Mohammad, Iyad: What Has Lachenmann Done with My Mozart? A Note on Whatever Is Recorded on the Tape in “Accanto”, in: Helmut Lachenmann – Inward Beauty, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 23 (2004), Heft 3/4, S. 145-147.
Ramaut-Chevassus, Béatrice: Le cri et „les forces qui le suscitent“: „Accanto“ de Lachenmann et „Hiérophonie V” de Taira, in: Dire/chanter: passages. Etudes musicologiques, ethnomusicologiques et poétiques (XXe et XXIe siècles), hrsg. von Béatrice Ramaut-Chevassus und Anne-Damon Guillot (Centre Interdisciplinaire d’études et de recherches sur l’expression contemporaine, Band 165), Saint-Etienne: Publications de l’Université de Saint-Etienne 2014, S. 215-229.
Schmidt, Matthias: Mozart gedenken. Erinnerung und Bild bei Helmut Lachenmann, in: Dialoge und Resonanzen. Musikgeschichte zwischen den Kulturen. Theo Hirsbrunner zum 80. Geburtstag, hrsg. von Ivana Rentsch, Walter Kläy und Arne Stollberg, München: edition text + kritik 2011, S. 152-172.
Toop, Richard: Concept and Context: A Historiographic Consideration of Lachenmann's Orchestral Works, in: Helmut Lachenmann – Inward Beauty, hrsg. von Dan Albertson, Contemporary Music Review 23 (2004), Heft 3/4, S. 125-144.
Williams, Alistair: Mixing with Mozart: Aesthetics and Tradition in Helmut Lachenmann's “Accanto”, in: twentieth-century music 8 (2011), Heft 1, S. 71-97.