Adriana Hölszky (*1953) Jagt die Wölfe zurück!
[6Schl] 1989/90 Dauer: 13'
Uraufführung: Rottenburg (Tage für Neue Musik), 1. April 1990
90 Seiten | 29,7 x 42 cm | 632 g | ISMN: 979-0-004-50189-4 | Mappe
Der Titel des Werkes hat keinen illustrativen Charakter, er bezieht sich vielmehr auf den grundlegenden Gestus der Klangbewegung: der Klangimpuls wird mit hoher Geschwindigkeit kreisförmig durch den Raum ‚gejagt'. Andererseits geht es in dem Werk auch um einen ‚Weg', den der Klang in seiner Transformation beschreibt: diese vollzieht sich als eine Entwicklung vom Impuls zum statischen Klang. Die Bedrohlichkeit und Härte dieses ‚gejagten' Klanges erinnert assoziativ an die ‚innere Temperatur' des Gedichtes ‚Die gestundete Zeit’ von Ingeborg Bachmann.
Die sechs Schlagzeuger stehen im Halbkreis weit voneinander und bilden eine ‚Kette', in der der Klang ‚gejagt' wird. In dieser Komposition finden ständig lineare, wellenartige Klangraumwanderungen (meistens reine Farben) statt. Es gibt selten polyrhythmische Bildungen. Die zwei Zeitempfindungen in diesem Stück sind:
– die vorwärtsdrängenden energiegeladenen Impulse (rhythmisch sehr scharf) und
– die Geräuschbänder oder fluktuierenden statischen Klänge, wobei der Puls ausgeschaltet wird.
Die Spannung zwischen diesen beiden Zeitempfindungen trägt strukturell das Stück weiter. Die Komposition besteht aus wellenartigen Versuchen, Energiekreise und Klangvektoren im Raum zu bewegen. Die Realisierung dieser Impulsbewegungen erfordert schnellste Reaktionsfähigkeit von seiten der Spieler.
Es gibt Klangrotationen im Raum, die eine gewisse Automatik suggerieren. Besonders bei den Momenten der ‚sich auf der Stelle drehenden Figuren': hier tritt auch eine andere Charakteristik des Innenaufbaus in; Erscheinung, und zwar die Isolation der einzelnen Gesten, ihre Verselbständigung. Der Gestus der herkömmlichen Imitation und Engführung wird gesteigert und entfremdet durch eine neue Umdeutung: ein und dieselbe Figur wird durch den Raum geschleudert. Dies bedeutet die kompositorische Einbeziehung der räumlichen Dimension. Der Wechsel der Farben Fell - Metall, der wie ein Pendelschlag funktioniert, begleitet die Entfaltung und den Zerfall der pulsierenden, im Raum wandernden Figuren. Die Entfaltung oder Expansion bezieht sich auf: a) den Tonraumumfang – b) die rhythmische Aktivität – c) die Dichte der Klangereignisse – d) den Mischungsgrad der heterogenen Figuren e) die Modulationsmöglichkeiten, von einer Farbe zur anderen zu wechseln - f) die Anzahl der Wiederholungen der Klangrotationen.
Schließlich entfaltet sich gegen Ende des Stückes das rhythmisch-indifferente Geräusch und der liegende Klang bis zu den reinen Tonhöhensäulen im hohen Frequenzbereich (Crotales mit Bogen gestrichen). Der Klang verhält sich wie ein Lichtstreifen von einem Scheinwerfer, der mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch alle Klangfarben und Register wandert.
(Adriana Hölszky)
CDs:
Slagwerkgroep Den Haag
CD cpo 999 112-2
Deutsches Schlagzeugensemble, Ltg. Alexander Winterson
CD MD+G A3450
Slagwerkgroep Den Haag
CD (Wittener Tage für neue Kammermusik 1991) WD 02
Percusemble Berlin, Ltg. Edgar Guggeis
CD NEOS 11219
Bibliografie:
Hölszky, Adriana: "Jagt die Wölfe zurück!", Arbeitsblätter, Kommentare und Lösungen, in: Musik im 20. Jahrhundert. Musikwerkstatt (= Materialien für den Musikunterricht in der Oberstufe, Bd. 3), Stuttgart 1994, S. 73-80.
dies.: "Message", in: Nähe und Distanz. Nachgedachte Musik der Gegenwart, hrsg. von Wolfgang Gratzer, Bd. 2, Hofheim/Ts. 1996, S. 188-198.
dies.: Über "Giuseppe e Sylvia", in: Up to Date 2/2000, S. 9.