Adriana Hölszky (*1953) Geträumt
[36Singst] 1989/90 Dauer: 14' Text: Ingeborg Bachmann
12S12Mez12A/12T12Bar12B
Uraufführung: Graz (Steirischer Herbst), 10. Oktober 1991
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Geträumt wurde 1989/90 im Auftrag des Deutschen Musikrates komponiert und kann entweder von 36 Frauenstimmen oder 36 Männerstimmen aufgeführt werden. Die Komposition verwendet isolierte Fragmente, die dem Gedicht „Nachtflug“ von Ingeborg Bachmann entnommen sind.
Der Gedanke der kompositorischen Verwendung eines homogenen vokalen Klangapparats von vielen solistischen Stimmen, der ähnlich einem „Tausendfüßler“ funktionieren sollte, d.h. trotz maximaler Individualisierung der einzelnen Glieder die Schärfe der zentralen Integration nicht verliert, war grundlegend für dieses Werk.
Nicht die Semantik, sondern die Klanglichkeit der Wörter, deren Atomisierung, die assoziativen Verbindungen unterschiedlicher Partikel die Isolation und Hervorhebung einzelner Phoneme, standen bei der Komposition im Vordergrund.
Die „ecriture“ der im Kreis um den Hörer platzierten 36 Stimmen (in der Partitur auf 9 Gruppen zu je 4 Stimmen verteilt) versucht die auskomponierten Räume und die entsprechenden Klangwanderungen wie in einem „pulsierenden Ozean“ schwebender Klänge maximal zu differenzieren.
So gibt es z. B. in den Takten 50-53 der Partitur elf verschiedene Farbflächenarten, die sich verzahnen:
1) Farbmischung von: gesungen und geflüstert auf „R“
2) knarrende Stimme
3) Sprechgesang-Impulse in den extremen Lagen, so schnell wie möglich
4) Mischung von: a) Schnalzen in Richtung Gaumen, Mundstellung offen/zu,
b) Lippengeräusch ähnlich dem Geräusch eines Korkenziehers,
c) Schnalzen in Richtung vordere Zähne, Mundstellung offen/zu, und
d) knarrende Stimme
5) Pfeifimpulse
6) Pfeifen mit gleichzeitigem Sprechgesang, glissando
7) Pfeifen mit gleichzeitiger Singstimme, glissando
8) rhythmisiertes Alternieren von Schnalzen in Richtung vordere Zähne, Mundstellung offen/zu
9) Flüstern mit Handvibrato
10) Singstimme auf „a“
11) „Einatmen-Ausatmen“-Impulse
Das Schleudern der Geräuschpartikel durch den 36köpfigen Klangapparat beruht auch auf Kategorien visueller Dimension: dem Einbeziehen von Nähe und Weite, Linie und Fläche, Oszillation und Stillstand, Richtungsänderung oder Pendeln der Klänge.
In letzter Konsequenz will die Komposition die Illusion eines expandierenden Klangraumes mit migrierenden Punkten und Figuren schaffen. So wird die Partitur zu einer „Landkarte“ der in Raum beweglichen „Klanglandschaft“, die aus dem Zusammen- und Wechselspiel vieler filigranartiger, in sich geschlossener Klangfelder entstanden ist.
Auch wenn größere Blöcke oder Flächen im Werk sich entfalten, deuten sie immer auf die Flüchtigkeit, die Instabilität und Zerbrechlichkeit des Moments.
CDs:
ORF-Chor, Ltg. Erwin Ortner
CD cpo 999 290-2
ORF-Chor, Ltg. Erwin Ortner
CD ORF MP 30/4 (30 Jahre Musikprotokoll „Moderne in Österreich 1968-1997“)
Bibliografie:
Hinterberger, Julia: Zwischen „Sprachzertrümmerung” und „Textkonservierung”. Schlaglichter auf Adriana Hölszkys Umgang mit literarischen Texten, in: Adriana Hölszky, hrsg. von Ulrich Tadday (Musik-Konzepte, Neue Folge Heft 160/161), München: edition text+kritik 2013, S. 25-42.
Kostakeva, Maria: Metamorphose und Eruption. Annäherung an die Klangwelten Adriana Hölszkys, Hofheim: wolke 2013 (S. 101f, 141-143).
Petersen, Peter: „... geträumt“ von Adriana Hölszky. Versuch über ein Vokalstück nach Ingeborg Bachmann, in: Adriana Hölszky, hrsg. von Eva-Maria Houben, Saarbrücken 2000, S. 44-54.