Christian Mason (*1984) Clear Night
[Orch] 2007/08 Dauer: 6'
3.3.3.3 – 4.3.3.1 – Schl(2) – Hfe.Cel – Str: 7.6.5.4.3
Uraufführung: London/UK, Barbican Hall, 30. September 2008
Auftragswerk des London Symphony Orchestra in Zusammenarbeit mit UBS
Clear Night (2007/2008) beginnt mit einem glühenden Ausbruch spektraler Energie. Absteigende, einander überlagernde Tonleitern lösen sich in den Hintergrund hinein auf, wie in einem Zeitrafferfilm einer Sternschnuppe. Während sich das grelle Licht zurückzieht, erscheint eine üppige Textur aus Streichern und gedämpften Blechbläsern, die ausgehaltene modale Cluster spielen, mit scharfen Einwürfen von Harfe, Celesta und Holzbläsern und Wirbeln gleitender natürlicher Obertöne von sechs Solostreichern: Lichtpunkte, die sich ihren Weg über den Himmel bahnen. Im weiteren Verlauf der Musik formen sich diese Punkte zu melodischen Konstellationen, die stets von perkussiven Farben geprägt sind, zu denen sich auch Vibraphon und Marimba gesellen. Die Textur baut sich auf, die Schichten und Farben verdichten sich, und die Musik intensiviert sich, bevor sie plötzlich einem kontemplativen Moment mit gestrichenen Crotales Platz macht; ein stiller Punkt in einer sich drehenden Welt. Nach der Wiederaufnahme des Flusses entsteht ein verstärktes Gefühl der Dringlichkeit, und eine stark verzierte harmonische Progression weicht einer schier freudigen Ausgelassenheit der Orchesterfarben. Das Stück endet in ekstatischer Stasis mit einer ad lib. Explosion natürlicher Obertöne in den Streichern über einem hellen Bett aus gedämpften Wah-Wah-Blechen. Die emotionale Welt des Stücks wurde von David Gascoynes Gedicht Tenebrae aus seiner Sammlung ‚Hölderlin‘s Madness‘ von 1938 inspiriert, zu dem ich kürzlich einen gleichnamigen Liederzyklus komponiert habe. Tenebrae, das letzte Lied, zitiert die harmonische Progression vom Ende dieses Stücks fünfzehn Jahre später und setzt die Worte Gascoynes für Mezzosopran und Ensemble:
Clear night!
He has no need of candles who can see
A longer, more celestial day than ours.*
Christian Mason (2023)
* aus: David Gascoyne, New Collected Poems, edited by Roger Scott (Enitharmon Press 2014), wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung durch Stephen Stuart-Smith