Christian Mason (*1984) Zwischen den Sternen
[Ens] 2018/19 Dauer: 40'
Fl.Ob.Klar – Schl – Klav – Vl.Va.Vc
Uraufführung: Berlin (Festival Ultraschall), 18. Januar 2019
Es ist wichtig, sich hin und wieder der Sterne zu erinnern, denn sie rücken die Dinge in die richtige Perspektive. Da ist zuallererst die Tatsache, dass diese Lichtpunkte, die wir nachts vom anderen Ende des Universums leuchten sehen, schon vor uns existierten. Die tatsächliche Distanz zwischen des Sternen ist beinahe unbegreiflich, und dennoch erscheinen sie uns aus unserer fernen, erdgebundenen Perspektive in dichten Haufen und Sternbildern. Die geheimnisvolle Beziehung zwischen Distanz und Perspektive – Millionen von Lichtjahre scheinbar in einer Handspanne! Das mag Angst oder Erfurcht hervorrufen, und doch bieten uns die Sterne gleichzeitig auch ein Gefühl der Konstanz an (auch wenn sie manchmal als Supernovae explodieren und die Struktur des Himmels verändern).
Dies Verbindung der Musik zu diesen Gedanken liegt im vermittelnden Filter von Rilkes gleichnamigem Gedicht, der Nummer XX aus dem zweiten Teil seiner Sonnette an Orpheus, die ich in einer Übersetzung in der Norton-Ausgabe gelesen habe. Rilke vermenschlicht die kosmische Ausdehnung in Analogien, vergleicht sie zunächst mit der Entfernung zweier Kinder voneinander und dann mit „wieviel Spannen allein vom Mädchen zum Manne, / wenn es ihn meidet und meint.“ Er vergrößert das Empfinden des Maßstabs, der menschlichen Gefühlen und Beziehungen innewohnt und richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Einsamkeit emotionaler Distanz. Der pysikalische Weltraum mag gewaltig sein, jedoch scheint der emotionale Raum gewaltiger …
Diese zwillingshafte Vorstellung von Distanz und Beziehung ist der Schlüssel zum Verständnis der musikalischen Welt von Zwischen den Sternen. Die geradlinigstige Analogie ist diejenige der räumlichen Verteilung der Musiker. Mit jeder räumlichen Rekonfiguration gehen die Musiker neue musikalische Beziehungen ein, die unmissverständlich dazu dienen, den Klang und die Form des Stückes zu definieren. Es gibt allerdings auch ein Gefühl für Raum in der Harmonik, besonders in den eröffnenden Zweiklängen: leer und dennoch voller Gefühl, mit einer melancholischen Wendung, die aus der spektralen Umstimmung von sechs Klaviertönen zu den Obertönen 7, 11, 13, 14, 21 und 23 des C-Spektrums herrührt.
Dieser Umstimmung schliessen sich die Streicher an, die jeweils zu einem Skordaturinstrument wechseln: Violine mit vier G-Saiten, Viola mit zwei G- und zwei C-Saiten, Cello mit vier A-Saiten. Diese Instrumente mit ihren einzigartigen Resonanzen werden zum prägenden Merkmal der Musik von Satz IV bis zum Ende des Stückes, wo der Cellist alleine auf der Bühne zurückbleibt, in eine ekstatische Halbimprovisation vertieft, während die anderen wehmütig in die Ferne hinausgehen … Aber bei genauerem Nachdenken kommt der „sternartigste“ Aspekt des Stückes vielleicht schon viel früher, mit dem wunderbaren Klang der Steeldrum: Explodierende Notenkonstellationen, die aufblühen und verblassen, hell und doch flüchtig, ein klanglicher Mikrokosmos der fernen Sterne und des Raumes zwischen ihnen.
(Christian Mason, 2018)
01. | I. Between the stars, how far... |
02. | II. ...and yet, by how much still farther, what we learn from the here and now |
03. | Interlude I |
04. | III. o how incredibly distant |
05. | Interlude II |
06. | IV. Everything is far... |
07. | V. ...and nowhere does the circle close |
08. | VI. But is there not perhaps a place, where what would be the fishes’ language is spoken without them? |