Misato Mochizuki (*1969) Brains
Streichquartett Nr. 2 [2Vl,Va,Vc] 2016/17 Dauer: 12'
Uraufführung: Paris (Festival „Présences“), 13. Februar 2017
Auftragswerk von Radio France
12 Seiten | 23 x 30,5 cm | 78 g | ISMN: 979-0-004-18555-1 | geheftet
Nach einem Gespräch mit Professor Yuji Ikegaya über seine neurologischen Forschungen wollte ich mich mit einigen funktionellen Besonderheiten des menschlichen Gehirns beschäftigen.
Vier dieser Besonderheiten haben meine Aufmerksamkeit erregt. Die erste betrifft den Bereich der Autonomie oder Unabhängigkeit. Denn auch in Fällen, in denen keine äußere Stimulation stattfindet, zeigt das menschliche Gehirn spontane Aktivitäten, die sich in Form von festen Mustern ausdrücken. Die zweite Besonderheit ist das Prinzip der „Infektion/Kontamination“ von Gesten oder Sätzen mit der Funktion der Spiegelneuronen: Der Mensch lernt, indem er die Gesten anderer nachahmt; dies ist die Quelle von Emotionen wie Mitgefühl oder Sympathie. Das dritte Besonderheit ist das spontane Lernen und die Selbsterneuerung des Gehirns, Fähigkeiten, die es einzigartig machen und von einem Computer unterscheiden. Und schließlich das Bewusstsein vom „Ich“, das es vom Gehirn eines Tieres unterscheidet.
Ich fand in der klassischen und strengen Form des Quartetts ein ideales Erkundungsfeld, um dieses musikalische Projekt zu entwickeln. Das Quartett besteht aus den vier Gehirnen der Musiker, aber es ist auch eine eigenständige Einheit, ein einheitliches Nervenzentrum.
Die Komposition wird also von der Nachahmung angetrieben, auf der Basis von Patterns, die sich auf der Suche nach Identität und in ihrer Beziehung zum anderen und zu den anderen (Musikern) ständig verändern.
Der Andere, das ist auch der Autist, der die Äußerungen, Emotionen und Gesten der Außenwelt nicht gut nachahmen und verstehen kann. Die Frage der Beziehungen wird somit zur Frage der Abhängigkeit, der Unabhängigkeit und/oder der Interdependenz. Sie steht im Mittelpunkt meines kompositorischen Prozesses, der durch die Organisation und Sonifizierung der Verhaltensweisen der verschiedenen Stimmen des Quartetts auch ein Mittel ist, um mich als Komponistin nach meiner Identität und meiner eigenen Beziehung zur Welt zu befragen.
(Misato Mochizuki, 2017)