Martin Smolka (*1959) Annunciation
[Ch,Orch] 2014 Dauer: 33'
Chor: SSSAAATTTBBB – 2(Picc).AFl.BFl.0.2.2Es-Klar.0 – 4.4.0.0 – Schl(3) – 2Hfe – Klav – Str: 14.12.10.6.4
Uraufführung: München, 12. Dezember 2014
Die ganze Zeit schwebte mir die Darstellung der Verkündigung auf den Gemälden der Renaissance- und Barockmeister vor. Dementsprechend setzt bei mir der Chor mit der Aufzählung typischer Elemente dieser Ikonographie an: ecce Engel, ecce Lilie … Ich arbeitete mit einer Textvorlage, die ich zum Teil der Heiligen Schrift, zum Teil der sogenannten Lauretanischen Litanei entnahm.
Der Vokalklang war mit dabei außerordentlich wichtig. Die Texte verkürzte ich fast auf eine unangebrachte Art und Weise, um unnütze Rhetorik zu vermeiden, dabei bringe ich eher Konstellationen von Schlüsselwörtern hervor. Anschließend gruppiere ich diese aufgrund ihres Klanges neu. Ich bin von Euphonie besessen, ich häufe runde Konsonanten an, wie b, l und m, oder aber ich lasse – streuend und krümelnd – Zischlaute oder rasselnde Geräusche ertönen. Sorgfältig prüfe ich, welche Vokale hoch und welche tief klingen, mit Vorliebe suche ich nach einem farbigeren Einklang mehrerer Vokale. Dies passiert häufig zuungunsten der Logik und wohl auch der Pietät gegenüber den heiligen Texten. Anders als bei der Lektüre geht es bei dem Chorgesang und bei der Musik um Evokation, wo das Ohr nur hier und da ein Wort auffangen kann.
Für eine Linie meines Schaffens ist seit jeher die Sehnsucht nach endlosem musikalischem Kontinuum, nach absoluter Monotonie, die einen in die Tiefe hineinzieht, ausschlaggebend. Auf der anderen Seite sind jeweils solche Elemente verstreut, die auf Unbeständigkeit und Veränderlichkeit hinweisen. Das trifft auch auf Annunciation zu: Ich kam mit einer völligen Verlangsamung, Besänftigung und Abkapselung in sich selbst nicht zurecht und so ließ ich in die Komposition Gegenthemen einfließen.
Die Neigung zu einer verlangsamten Zeit ist aus meinem Schaffen nicht wegzudenken. Für mich steht jene verlangsamte Ruhe in Annunciation für die Mutter Jesu, und zwar so, wie man sie von den Verkündigungs-Gemälden der alten Meister kennt: ruhig und einsam lesend. Als würde man ihr glattes, anmutiges, heiliges Gesicht betrachten. Und die musikalischen Aufschwünge, die diesen ruhigen Wasserspiegel durchbrechen, assoziiere ich mit dem Licht des himmlischen Strahls sowie mit der Beschwingtheit aller anderen Figuren in den Barockabbildungen.
(aus einem Gespräch mit Jaromír Typlt, abgedruckt in: BR musica viva Saison 2014/15, S. 7; aus dem Tschechischen von Nikola Mizerova)
„Das Werk verströmt so viel geheimnisvolle Aura, wechselt so blockhaft zwischen Singen und Instrumentalklang, ist oft so statuarisch, dass jedes Gefühl für Zeit schwindet und der Text weniger gedeutet, sondern vielmehr auf dem Silbertablett präsentiert wird – immer sanglich, immer leuchtend in der Diktion des lateinischen Textes.“ (Klaus Kalchschmid, Musik & Kirche)
Bibliografie:
Vom Klang des Gebets. Jaromír Typlt im Gespräch mit Martin Smolka über dessen Werk „Annunciation“, in: MUSICA VIVA des Bayerischen Rundfunks, Konzerte in der Saison 2014/15, S. 7.