Misato Mochizuki (*1969) Nirai
Intermezzo zu Beethovens Symphonien Nr. 2 und Nr. 6 [Orch] 2012 Dauer: 8'
2(Picc.A-Fl).2(Eh).2(Es-Klar.2B-Klar).1.Kfg. - 2.2.2.0. - Pk.Schl(3) - Str: 12.10.8.6.4
Uraufführung: München, Herkulessaal, 8. November 2012
Kompositionsauftrag des BR
Nirai beschreibt ein imaginiertes Land, ein Paradies. Zu Beginn meiner Arbeit hatte ich diese beiden Vorstellungen: von einer Fuge und von den Wurzeln auf Okinawa, einer tropischen Insel im Süden Japans. Dort haben viele Bäume ganz unglaubliche Formen, besonders die Wurzeln haben mich fasziniert. Sie ergeben äußerst komplizierte und organische Gebilde, die mich an eine Frage erinnerten. „Nirai“ heißt wörtlich „aus den Wurzeln kommend“ oder „in Richtung der Wurzeln“ oder auch „Land der Wurzeln“. Man verwendet dieses Wort, um etwas zu beschreiben, das aus der Vergangenheit kommt und das noch heute, also in der Gegenwart, sinnvoll ist. Genau wie es in Platons „Phaidon“ heißt: Alle alten Dinge kommen aus den neuen, und alle neuen Dinge kommen aus den alten. Ich wollte diese Dualität oder Interaktion zwischen zwei verschiedenen Epochen darstellen. Als Beethoven seine Symphonien schrieb, benutzte er die kompositorischen Möglichkeiten, die ihm zu jener Zeit zur Verfügung standen. Ich wollte das auch. Wir haben heutzutage ein riesigen Archiv an Techniken und Ästhetiken, auf die wir zurückgreifen können. Wir können aus ihnen die passenden auswählen oder sie auch kombinieren. In gewisser Weise kann man auch zu diesem Archiv „Nirai“ sagen, denn es stellt das Erbe eines Volkes dar. Also wollte ich gerne eine alte Satzweise verwenden, die heutzutage nicht so oft zum Einsatz kommt. Ursprünglich wollte ich das ganze Intermezzo in Fugentechnik schreiben. Aber das hat sich als zu schwierig herausgestellt. Ein Rest dieser ursprünglich geplanten Fuge ist am Anfang noch erkennbar. Die Faktur insgesamt ist eher einfach gehalten. Im Stück ist ein stetes Accelerando angelegt, für den Hörer gut wahrnehmbar, obwohl mehrere Melodien gleichzeitig in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erklingen.
Was den Beethoven-Bezug betrifft, so nahm ich eine kurze Phrase aus dem Schluss des letzten Satzes der Zweiten Symphonie, fünf kurze Wechselnoten. Daraus entwickelte ich das Stück. Bei Beethoven steht diese Phrase in D-Dur, natürlich übernahm ich die Tonart nicht. Was mich reizte, war die Tatsache, dass es sich um eine kleine Sekunde handelt – das Intervall, das in der zeitgenössischen Musik bevorzugt verwendet wird. Die kleine Sekunde ist sehr flexibel, sie ermöglicht einem viele Formen der Verwendung. Beethoven war seinen Zeitgenossen vor allem als genialer Improvisator bekannt, also nahm ich diese kleine Phrase als Thema einer Improvisation und behandelte es auf sehr freie Art. Von der Sechsten Symphonie entnahm ich keine musikalischen Zitate; stattdessen entwickle ich dieses kurze Intermezzo in „pastoraler“ Form.
(Misato Mochizuki)
CD:
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Ltg. Mariss Jansons
CD BR-Klassik 900119 (6 CDs)