Martin Smolka (*1959) Blue Bells or Bell Blues
[Orch] 2011 Dauer: 20'
4(2Picc.A-Fl.).4(Eh).2S-Sax(2T-Sax).2B-Klar.4. - 4.4.3.1. - Schl(4) - 2Hfe - Klav(Cel) - Str:9-9-9.10.8.6
Uraufführung: Köln, 30. September 2011 (WDR-Sinfonieorchester, Ltg. Emilio Pomàrico)
Eines der erstaunlichsten Phänomene, die man beobachten kann, wenn man Kirchenglocken hört, wird durch ihr Hin- und Herschwingen verursacht. In der Regel sinkt die Tonhöhe nach dem Schlag (wie die Blue Note im Jazz) einen Mikroton ab, um dann allmählich wieder anzusteigen. Ich fand es faszinierend, dieses Tonhöhenverhalten auf Orchesterklänge zu übertragen, vor allem auf Holzbläser.
Als ich an den Skizzen arbeitete, verbrachte ich zwei Monate am Meer. Dort habe ich wie gebannt das Wasser betrachtet. Diese Beobachtung bildete den Cantus firmus des Aufenthalts. Vielleicht haben meine Glocken deshalb eine blaue Farbe angenommen:
Blue Bells Bell Blues. Das ist mehr als nur ein Spiel mit vertauschten Wörtern und Bedeutungsverschiebungen. Es geht vor allem darum, dem Klang dieser Wörter zu lauschen. So viele ls. Der Klang der l ist rund und weich wie die Wellen des Meeres. Das b ist ebenfalls rund und stumpf, aber es kann sich überschlagen und brechen wie die Brandung. Und das lange u(e) klingt wie Wind.
Die Partitur verlangt von den Musikern, dass sie das sichere Terrain der temperierten Stimmung verlassen und sich in den interstellaren Raum der Mikrointervalle begeben. Wie in den meisten Fällen ist es auch hier meine Absicht, den alten, verbrauchten Harmonien - wie dem a-Moll - eine neue Schönheit einzuhauchen.
(Martin Smolka)
Bibliografie:
Nonnenmann, Rainer: Natur und Nostalgie. Intonation, Tradition und Expression in der Musik Martin Smolkas, in: Martin Smolka, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte 191), München: edition text + kritik 2021, S. 7-25
Schick, Tobias Eduard: Martin Smolkas Neubelebung durmolltonaler Harmonik durch Neukontextualisierung und mikrotonale Verfremdung, in: Martin Smolka, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte 191), München: edition text + kritik 2021, S. 26-47