Nicolaus A. Huber (*1939) fingercapriccio
[2Schl] 2007 Dauer: 14'
Uraufführung: Lugano (Ensemble EAR DRUM), 3. April 2008
20 Seiten | 29,7 x 42 cm | 204 g | ISMN: 979-0-004-18317-5 | Mappe
fingercapriccio für zwei Schlagzeuger füllt eine Lücke. Nach einem Solo, Quartett und Trio für Schlagzeug jetzt ein Duo. Die Anregung dazu kam von Bernhard Wulff für das virtuose Duo „ear drum“. Es ist schon lange nicht mehr die euphorische Zeit der Riesenbesetzungen. Stattdessen legt das Stück Wert auf wenig Instrumente und versucht das Herumdonnern im Instrumentenpark zu vermeiden. Diese instrumentale Diät zwang mich in eine Art hypnotische Sogwirkung. Die Herangehensweise, über die Vielfalt von Spiel- und Kombinationsdifferenzierungen in das Farbenparadies des Hörens zu gelangen, ließ mich lange Zeit im Stück nicht weg kommen von den beiden Bongopaaren und ihren Fellen als Tummelplatz für die Finger der Spieler. Selbst die steiferen Schlägel und Trommelsticks wurden zu Fingerprothesen und manchmal wie die Finger einer Hand in angrenzende Anschlagspositionen geteilt. Das funktioniert natürlich nur, wenn man in solchen Beziehungen einer Stückwelt hören kann. Zwei Spieler, je zwei Hände, je fünf Finger, je zwei Hauptfarben – Fingerfleisch und Fingernagel – je zwei Bongos und zwei Abstrahlungsorte ... das schreit nach Umschlag! Wie Fingerkuppe sich zu Fingernagel verhält, schlägt das Stück (endlich) im letzten Drittel vom Fell ins Metallische um, vom oft-Gebrauchten zum selten-Benützten, vom wenig Tonhöhenhaften zum ausschließlich Tonhöhengebundenen usw. usw.
Finger, L(inks) / R(echts), Farborte werden melodisch gebraucht, Gleichzeitigkeiten und ihre rhythmischen Verschiebungskombinationen werden zu einer Art Fingerharmonik, Unterschiede, etwa zwischen zweitem und dritten Finger oder dem zweiten Finger der rechten bzw. der linken Hand oder des rechten und linken Spielers und deren beiden linken und rechten Hände etc. etc. werden zu Werten der musikalischen Wahrnehmung. Das kann nur ein Capriccio sein, keine Form, eher ein launisches Prinzip, dem Frescobaldi schon versuchte, einzelne kompositorische Programmatiken zur speziellen Ausdifferenzierung zuzuordnen. Wenn das endliche Bongo-Fell umrundet oder durchquert wird, ergeben sich Zeiten, die unseren Sinnen spontan erfassbar sind. Eine Klangschale, kleiner im Durchmesser als eine Bongomembran, schafft mit einem Anschlag einen Klang von einer Minute Dauer, der unserer Alltagsbeanspruchung des Zeitsinns schon Einiges abverlangt an Gefühl für Weite und Klangdauerhorizont. Für mich ein faszinierender Aus-Klang!
(Nicolaus A. Huber 27. Juni 2007)