Nicolaus A. Huber (*1939) Dort links ging's in die Stadt
Mit Tattoos [Schl,Akk,Cel,Vc,CD] 2005 Dauer: 12'
UA: Wien, 3. Oktober 2008
Die eigentliche Entdeckung Schönbergs, die ungeheuere, war, die Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der Töne als denkbar zu postulieren. Damals war zu einer ersten Bewältigung die Welt der zwölf Töne mit entdeckt worden. Schönberg interessierte daran offenbar weniger die Reihe (oder gar die Reihen-Technik), sondern vor allem der Raum und ein neues Raumgefühl: von jedem Punkt, gleich in welche Richtung man geht, zu jedem Punkt gelangen zu können. Jeder kennt diese Schönbergsche Raumgraphik der vier Reihenformen, in der Mitte zweimal die 12, an den Außenrändern jeweils die 1 und das spiegelbildliche Oben und Unten. In seiner Erwartung beginnt Schönberg noch: Hier hinein? ... Man sieht den Weg nicht ... (zögernd!!!). Später, in der Jakobsleiter, beginnt Schönberg (streng im Takt / scharf und trocken!!!): Ob rechts, ob links, vorwärts oder rückwärts, bergauf oder bergab man hat weiterzugehen, ohne zu fragen, was vor oder hinter einem liegt.
Aus den gleichen Jahren Bergs Wozzeck. Im 3. Akt, 2. Szene (Invention über den Ton h) lässt er Marie mit Wozzeck von rechts auf die Bühne kommen und versetzt, wie ich finde genüsslich, dieser geschlossenen Raumkonzeption Schönbergs einen ästhetischen Fußtritt. Marie beginnt die Szene noch aufmüpfig: Dort links gehts in die Stadt, und Berg schützt den Satz auch noch, indem er ihn in die Länge der heiligen Zahl von 7 Achtel hüllt. Aber die Eindeutigkeit der Richtung zersprengt die geschlossene 12, ohne die historische Richtung zur Unabhängigkeit der Töne fraglich zu machen.
Nono machte sich zu Eigen, dass das Gehen der Weg sei, und Cage ließ die Töne und Klänge aus ihren eigenen Zentren kommen. Die Analogie zu den philosophischen Setzungen der griechischen Atomisten Leukipp und Demokrit, die ein Weltall ohne Mitte, Oben und Unten postulierten und alles als Kombination sahen, ist verblüffend. Die Gleichgültigkeit aller Erscheinungen und Medien ist die schöpferische Folge des bahnbrechenden Ansatzes von Schönberg.
Nun, wenn man heute über Stringtheorie liest oder über die Fähigkeit der Quanten, mehrere Zustände gleichzeitig zu überlagern (Qubit), dann kommt auch Musik immer noch mit. Das Gehen ist nicht mehr der Weg, nur ein blitzartig aufleuchtendes Gestaltteilchen, und in meinem O dieses Lichts! habe ich versucht, Notenschrift, Analyse und Spiel als Messung zu verstehen, die die Qubits immer zu einfachen Bits zerfallen lässt, dem Hören aber die Chance zur Überlagerung von Zuständen durch Unschärfen der Gestalten und Verteilungen abverlangt. Nicht immer ist alles exemplarisch. Aber ich glaube, die Töne meines Stückes „Dort links ging's in die Stadt“ haben diesen Text wohlwollend zur Kenntnis genommen und glitzern davon. Was aber ist mit den Tattoos?
Nicolaus A. Huber (Oktober 2005)