Nicolaus A. Huber (*1939) Angel Dust
[Pos,Akk] 2008 Dauer: 15'
Urauffürhung: Stuttgart, 5. Dezember 2009
15 Seiten | 29,7 x 42 cm | 213 g | ISMN: 979-0-004-82201-2 | Mappe
Ich denke beim Komponieren immer an Hörer. Ich selbst bin mein erster und oftmaliger Hörer. Aber zuallererst denke ich immer an Töne. Sie stehen mir gegenüber, auch in ihren angereicherten Formen als Klänge, Geräusche, Positionen. In diesem Stück gibt es einige Töne, deren Lautstärken nicht ihre eigenen sind, sondern mit denen sie uns Hörer um Aufmerksamkeit bitten, ja sie geradezu erflehen. Ihr Hauptselbst, meine ich, ist ihre Länge. Nur wenn diese Längen mit offenem Hören empfangen werden, erfährt man Charakter, Blickrichtung, Sehnsüchte, Tonwelten. Daneben gibt es eine Menge eleganter, flüchtiger Töne, eine Art Frequenzhüpfer: Engelsstaub.
Ich begegnete diesem Begriff kurz vor Beginn meiner Kompositionsarbeit in Naomi Kleins erschreckendem Buch „Die Schock-Strategie“, in dem zu Beginn die Psychoschockversuche (CIA / USA und Dr. E. Cameron / Montreal) zur totalen Zerstörung von Persönlichkeit geschildert werden. Zu diesen Entprägungs-Versuchen gehört(e) auch ein Drogencocktail mit LSD und PCP (Phenyl-Cyclidin-Piperidin). Dieses PCP ist auch als Angel Dust bekannt. Es stellte sich heraus, dass Entprägung mit anschließender Um- und Neuprägung nicht möglich war. Nur katastrophale Persönlichkeitszerstörung. Diese hat allerdings zur Entwicklung heutiger amerikanischer (nur?) Foltertechniken Zentrales beigetragen.
Dagegen ist Musik ein Klacks! Sie hat eine andere Realistik als die Realität. Das beinhaltet ihre Freiheit! Zeigen baut auf!
Alle Ereignisse des Stückes sind in eine Maßstabstruktur von 80x13 eingesperrt und bewegen sich doch dauernd in erneuerter Teilung. Die harmonische Grundstruktur fällt mit der syntaktischen Gliederung nicht immer zusammen. Töne verlieren dadurch ihre Deutlichkeit. Sie gewinnen entlokalisierte Beweglichkeit. Und ein Einsperrmodell, in dem ein Ereignis (A) an Beginn und Ende (B1 / B2) umklammert ist, wird zum polyphonen Bewegungsprozess des Entgleitens und Entkommens. Realität als Anstoß musikalischer Realistik. Dialektisch? Ansprechpartner?? Ihr Zeuge, lieber Hörer!!!
(Nicolaus A. Huber, 14. Januar 2008)