Nicolaus A. Huber (*1939) schwirren flu:xs (und Selbstbildnis)
[Orch] 2005 Dauer: 19'
3(Picc).3.3.3(Kfg). - 4.3.3.0. - Pk.Schl(3) - Hfe - Klav(Cel) - Str: 14.12.10.8.6.
UA: Berlin, Konzerthaus, 2. Februar 2007
Schwirren flu:xs (und Selbstbildnis) ist für großes Orchester im Auftrag des Konzerthauses Berlin geschrieben. Lange Zeit meines Lebens habe ich mich mit den ingenieurhaften Techniken Debussys beschäftigt. Nach Schubert hat er am meisten für die großen Reichweiten einzelner Töne getan, Reichweiten, die unabhängig von den einzelnen musikalischen Gestalten und Formteilen ihre Energiebahnen ziehen. Die Entdeckungen und Terminologien der physikalisch-mathematischen Naturwissenschaften auf Musik anzuwenden, bedeutet für mich zuvörderst, Tonalität von allem befreien zu können, was ihr verkrüppelte Spießigkeit gerade auch in der Theorie immer noch antut und auch Debussys Errungenschaften selbst vom Netz seiner Tonalität (immerhin 100 Jahre alt!) zu befreien. Plötzlich wurden für mich seine faszinierenden Fluktuationen loslösbar von ihren historisch gebundenen harmonischen Formen.
Bei der Vorbereitung zu meinem Stück las ich bei Michel Serres anregende Fragmente, die ich hoffentlich ebenso anregend hier zitieren möchte (Anfänge, Berlin: Merve-Verlag 1991):
Der Weg vom Lokalen zum Globalen .. Newton benutzte den Terminus Fluxion (Differential)..
Fluktuation, das auf dieser Strecke Diskontinuität, Unsicherheit, Veränderung einführt, ohne die Flüssigkeit zu beeinflussen..
Durch die Fluxion war das Universum überall Nachbar des Teils; durch die Fluktuation füllt sich die Welt mit verschiedenartigen Nachbarschaften..
Das trifft sich genau mit meinen Bemühungen, Töne und Klänge nicht mehr als fixierende Punkte zu denken, sondern als flukturierende Teilchen zu handhaben. In die volle Freiheit des Fluktuierens gelangt man aber nur, wenn Bestimmtes unvorhersehbar schwingend auftaucht und verschwindet, aber eben nur ein Teil bleibt, um in verschiedenartiger Nachbarschaft als Welt zu fluktuieren. Diese Chance gibt uns die Zeit, die Zeit des Verlaufs, die Zeit des Stückes, die Lust zu hören.
(Nicolaus A. Huber, 2005)