Isabel Mundry (*1963) falten und fallen
[2Vl,Va,Vc,Hammerklavier] 2006/7 Dauer: 15'
Uraufführung: Salzburg, 4. Februar 2007 (Andreas Staier (Hammerklavier), Arditti Quartett))
Auftragswerk der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg
In falten und fallen stehen sich ein Hammerklavier der Mozartzeit und ein modernes Streichquartetts als zwei Klangwelten gegenüber. Doch es ging mir nicht darum, diesen Kontrast auszustellen, sondern beide Seiten miteinander zu verflechten und daraus ein imaginäres drittes Instrument erwachsen zu lassen. So werden einerseits, durch die Verwendung von Dämpfern und die Angleichung der Tonumfänge, klangliche Annäherungen zwischen den Streichinstrumenten und dem Hammerklavier vorgenommen. Andererseits werden Klangcharakteristiken künstlich reproduziert und verwandelt, indem zum Beispiel aus einem Klavierakkord Geräuschklänge der Streicher hervorgehen oder gezupfte Saiten den Anschlag der Tasten übertönen, so dass ein artifizielles Zupfinstrument mit Ausklang entsteht.
Für die Formgestaltung der Komposition war die Lektüre des Gedichtes Variationen ohne ein Thema von Durs Grünbein prägend. In neununddreißig Abschnitten durchweben seine Verse die Phänomene Erinnern und Vergessen. Manche Sprachbilder ziehen Spuren nach sich, andere verschwinden unmittelbar, so dass eine komplexe Form der Rekursion und des Fortganges entsteht. Ähnliche Verfahren bestimmen auch die Zeitgestalt meiner Komposition. In ihrer vielgliedrigen Form bewegt sie sich zwischen einer gefalteten Zeit des Verweilens und einer fallenden Zeit sturzartigen Verschwindens. Selbstbezügliche Zustände und prozessuale Vorgänge sind die Pole dieser Komposition, doch sie wechseln sich nicht nur ab, sondern verschränken sich auch. Das Erinnern und das Vergessen werden hier zu Kategorien der Neudeutung innerhalb des Werkes. Ein Beispiel wäre eine anfangs exponierte Klavierterz. Sie eröffnet die Komposition, doch im Folgenden wird sie zunehmend in andere Klangkonturen überführt. Dadurch verliert sie ihre Signifikanz, doch gerade dann blitzt sie als refrainartiges Motiv wieder auf, wenn der Zeitverlauf sie bereits vergessen gemacht hat. Mozartklang, Geräuschklang, ein Gedicht, ein Refrain, fließende Zeit, stehende Zeit, Erinnern und Vergessen - auf verschiedenen Ebenen vollziehen sich hier Überführungen des einen in das andere.
(Isabel Mundry)
Bibliografie:
Mundry, Isabel: falten und fallen. Variationen auf kein Thema. Die Komponistin im Gespräch mit Walter Weidringer, in: Mozart-Woche Magazin (Internationale Stiftung Mozarteum), Nr. 5, September 2006, S. 13-15.
Thorau, Christian: falten und fallen. Metaphorisches Denken und Hören in der Musik Isabel Mundrys, in: Isabel Mundry, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte. Neue Folge, Sonderband), München: edition text+kritik 2011, S. 37-50.