Hanns Eisler (1898–1962) Ändere die Welt, sie braucht es
20 Lieder nach Texten von B. Brecht herausgegeben von Peter Deeg und Johannes C. Gall [Singst,Klav] Text: Bertolt Brecht
Das Heft enthält 20 Lieder und Fassungen von Liedern, die bislang nicht – oder allenfalls antiquarisch – erhältlich waren.
60 Seiten | 23 x 30,5 cm | 243 g | ISMN: 979-0-2004-9113-5 | Broschur
Das Heft enthält 20 Lieder und Fassungen von Liedern, die bislang nicht oder allenfalls antiquarisch erhältlich waren. Zu den lange Zeit vergriffenen Liedern zählen Klassiker wie die Kinderhymne Anmut sparet nicht noch Mühe und Zeitstücke wie das Lied vom Anstreicher Hitler. Unter den regelrechten Erstdrucken befinden sich Eislers Vertonung der Ballade von den Seeräubern und das Lidicelied, das Brecht wiederum auf eine vorhandene Eisler-Melodie dichtete. Die Notentexte sind mit den Quellen verglichen. Dabei wurden die Unstimmigkeiten früherer Ausgaben korrigiert. Anmerkungen zu Entstehung und historischen Zusammenhängen ergänzen das Heft, dessen Titel auf das 1956 nachkomponierte Lied zum Lehrstück Die Maßnahme zurückgeht.
CD:
Sylvia Anders, Stimme
Justus Noll, Keyboards, Bassklarinette
Stephen Roane Quartett
Labor Records LAB 7026-2
1. Ändere die Welt, sie braucht es (1930) |
2. Lob des Lernens (1931) |
3. Grabrede für einen Genossen, der an die Wand gestellt wurde (1932) |
4. Schlussballade (1932) |
5. Ballade von den Seeräubern (1933) |
6. Das Lied vom Anstreicher Hitler (1933) |
7. Chorlied von der nützlichen Missetat (1934) |
8. Auch ein Schuhmacher (ca. 1934) |
9. Das Saarlied (1934) |
10. Deutsches Lied 1937 ('Marie, weine nicht', 1936) |
11. Wo soll das hin? (1937) |
12. Vom Kind, das sich nicht waschen wollte (1937) |
13. Die Mutter liegt im Krankenhaus (1937) |
14. Hoppeldoppel Wopps Laus (1937) |
15. Das Lidicelied (1942) |
16. Anmut sparet nicht noch Mühe (1950) Kinderhymne |
17. Die Gräfin und der Förster (1955) |
18. Père Josèphe (1956) |
19. Ostern ist Bal sur Seine (1956) |
20. Die Krücken (ca. 1958) |
Hanns Eisler (1898–1962) hat im Lauf seines Lebens mehr als 200 Texte Bertolt Brechts (1898–1956) in Noten gesetzt. Obwohl seine Vertonungen heute nicht so bekannt sind wie etwa die von Kurt Weill, hat Eisler doch länger und intensiver mit dem Augsburger Dichter zusammengearbeitet als jeder andere Komponist. Hierzu berichtet Eisler, man habe sich ab 1930 über Monate hinweg „jeden Tag von neun Uhr vormittags bis ein Uhr mittags“ in Brechts Berliner Wohnung zur gemeinsamen Arbeit getroffen, „wobei der Brecht gedichtet“ und er, Eisler, „jede Zeile kritisiert“ habe. Diese Praxis des rastlosen Produzierens, deren erklärtes Ziel nichts Geringeres als die ‚Änderung der Welt‘ war, fand im Exil nach 1933 ihre Fortsetzung: „Ich erinnere mich auch an gewisse Winterzeiten an der dänischen Küste auf der Insel Fünen, wo vormittags ich in meinem Haus – ‚wie ein Wilder‘ sagt man in Wien – komponierte und der Brecht ‚wie ein Wilder‘ Verse schrieb“. Nach den gemeinsam in Hollywood verbrachten Jahren wurde die Zusammenarbeit in der neu gegründeten DDR wieder aufgenommen, wo es dem Komponisten zufolge bald „so viel zu tun“ gab, dass man „gar nicht mehr zur Arbeit“ kam. Nach Brechts Tod im August 1956 hörte Eisler nicht auf, dessen Texte zu vertonen – und half so, die von einem Nachrufschreiber dem Dichter in den Mund gelegten Worte wahr zu machen: Er gedenke sich weiterhin einzumischen und habe dazu auch nach seinem Ableben „noch gewisse Möglichkeiten“.
Das vorliegende Heft schöpft aus dem Fundus dieser exzeptionellen Zusammenarbeit. Ausgewählt wurden 20 Lieder und Fassungen von Liedern, die im Notenhandel bislang nicht (oder allenfalls noch antiquarisch) erhältlich waren:
• Klassiker wie Anmut sparet nicht noch Mühe, Deutsches Lied 1937 („Marie, weine nicht“) oder Père Josèphe ließ Eisler ab 1956 in den ersten sechs Bänden seiner (heute vergriffenen) Lieder und Kantaten veröffentlichen. Sie erscheinen hier, nach Abgleich mit den Notenhandschriften, in sorgfältig revidierter Form.
• Zeitstücke wie das Lied vom Anstreicher Hitler und Das Saarlied lagen bislang nur in historischen Notendrucken aus den 1930er Jahren vor. Dies gilt auch für die Klavierauszüge so bekannter Kompositionen wie Lob des Lernens und Grabrede für einen Genossen, der an die Wand gestellt wurde, die Erwin Ratz im Auftrag Eislers anfertigte.
• Die vorhandenen Klavierauszüge des Chorlieds von der nützlichen Missetat und der Ballade Die Gräfin und der Förster wurden vollständig überarbeitet, um die zugrunde liegenden Ensemblesätze Eislers so genau wie möglich zu übertragen.
• Als Erstveröffentlichungen erscheinen Raritäten wie die Schlussballade aus dem Stück Kamrad Kasper, Eislers Vertonung der Ballade von den Seeräubern, das Lied von Hoppeldoppel Wopps Laus, Auch ein Schuhmacher und Die Krücken. Das Lidicelied, das Brecht auf die Melodie von Eislers Komintern-Lied schrieb, wird ebenfalls zum ersten Mal in einer Notenausgabe publiziert.
Die Auswahl gibt einen Eindruck von der Vielfalt unterschiedlicher Stilrichtungen und funktionaler Zusammenhänge, wie sie für die Arbeit von Brecht und Eisler charakteristisch ist: Kabarettistische Schmählieder stehen neben eindringlichen Gesängen aus Brechts Bühnenwerken, vorgebliche ‚Kinderlieder‘ neben aufrüttelnden Agitprop-Stücken, die „Umarmung des Schlächters“ (Ändere die Welt, sie braucht es) neben dem „Schnittlauch für den Salat“ (Père Josèphe). Da einige Lieder nur aus ihrer historischen Situation heraus verständlich erscheinen, wird in den Anmerkungen am Ende des Heftes der jeweilige Entstehungskontext skizziert. Die Anmerkungen enthalten zudem knappe Hinweise auf die verwendeten Quellen und textkritischen Entscheidungen der Herausgeber. Anhand der in den Archivbeständen der Berliner Akademie der Künste vorliegenden Autographe und historischen Drucke konnten einige Unzulänglichkeiten früherer Ausgaben korrigiert werden. Dies betraf nicht zuletzt auch Abweichungen von Brechts Texten, die nur in bestimmten Fällen als bewusste Entscheidungen des Komponisten gelten können. In der vorliegenden Edition wird daher im Zweifelsfall stets Brechts ursprünglicher Textfassung der Vorzug gegeben.
Die Zusammenstellung erfolgte nicht zuletzt nach aufführungspraktischen Gesichtspunkten. Eine klassische Gesangsausbildung ist für keines der hier vorgelegten Stücke erforderlich, während in der Klavierbegleitung eine gewisse Bandbreite technischer Schwierigkeitsgrade zu konstatieren ist. Eisler selbst war überzeugt, dass jeder Mensch, „der kein Dummkopf ist“ seine Lieder singen könne, sofern er sich bemühe, „Sentimentalität, Bombast, Pathos, Dummheiten aller Art zu vermeiden, den Text gut zu bringen und doch zu singen“. Unter dieser Voraussetzung sei es jedem möglich, von seinen Kompositionen Gebrauch zu machen – „eventuell auch ohne Stimme“.
Berlin, April 2006