Claude Debussy (1862–1918) La Mer
Trois Esquisses Symphoniques – Urtext herausgegeben von Peter Jost [Orch] Dauer: 23'
Picc.2.2.Eh.2.3.Kfg – 4.3.2Korn.3.1. – Pk.Schl – 2Hfe – Str
Claude Debussys drei symphonische Skizzen La Mer dürften neben dem Prélude à L'après-midi d'un faune das meistgespielte Orchesterwerk des Komponisten sein.
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Dieser Erfolg gründet sich einerseitsauf die formale Nähe zur Symphonie, die schon die Zeitgenossen hervorgehoben haben, andererseits auf eine Klanglichkeit, die ebenfalls von Anfang an mit dem schillernden Begriff des Impressionismus in Verbindung gebracht wurde.
Peter Jost berücksichtigt alle maßgeblichen Quellen. Letztlich basiert der Notentext seiner Urtext-Ausgabe auf einem Exemplar der 1909 gedruckten Zweitausgabe der Partitur, das als Fassung letzter Hand die Konzert- und Dirigiererfahrungen Debussys enthält. Der Komponist hatte das Werk nach den Erfahrungen der kühl aufgenommenen Uraufführung überarbeitet und die außerordentlich erfolgreichen Konzerte Anfang 1908 in Paris, London und Rom mit großem Erfolg selbst geleitet.
„Für einen unkomplizierten und präzisen Zugang zu Debussys ‘La Mer’ ist Josts Neuausgabe in Zukunft zweifellos die erste Wahl. Denn sie überzeugt durch ihr vorzüglich gestaltetes Notenbildes, das instruktive Vorwort und der sorgfältig zusammengestellte Revisionsbericht.“ (Christoph Flamm, Die Musikforschung)
1. De l’aube à midi sur la mer |
2. Jeux de vagues |
3. Dialogue du vent et de la mer |
Claude Debussy war Zeit seines Lebens von der Natur, insbesondere vom Meer, dessen ständiger Bewegung und Farbenspiel, fasziniert. Am 12. September 1903 äußerte er gegenüber seinem Freund André Messager (1853–1929), der im Jahr zuvor die Uraufführung von Pelléas et Mélisande dirigiert hatte: „Sie wissen vielleicht nicht, dass ich für die schöne Laufbahn eines Seemanns bestimmt war und nur die Zufälle des Lebens mich davon abgebracht haben. Nichtsdestotrotz habe ich ihm [= dem Meer] eine wahre Leidenschaft bewahrt.” Um so erstaunlicher ist es daher, dass Debussys ambitioniertes Orchesterwerk La Mer nicht an den Küsten des Atlantiks oder des Mittelmeeres begonnen wurde, sondern in der dörflichen Abgeschiedenheit Burgunds im Sommer 1903, den er mit seiner Frau in Bichain (Département Yonne), dem Sommersitz seiner Schwiegereltern, verbrachte. Sprach er Ende August in einem Brief an den Dirigenten Édouard Colonne (1838–1910) noch vage von „Orchesterstücken”, die er neben anderen Werken in Arbeit habe, so präzisierte er im zitierten Brief an Messager: „Ich arbeite an drei symphonischen Skizzen mit den Überschriften: 1. Mer belle aux îles sanguinaires [Ruhige See vor den Îles Sanguinaires]. 2. Jeu de vagues [Spiel der Wellen]. 3. le vent fait danser la mer [Der Wind lässt das Meer tanzen] unter dem Gesamttitel La Mer. […] Nun werden Sie sagen, dass die Weinberge Burgunds nicht gerade vom Ozean umspült werden! Und dass das Ganze wohl den im Atelier gemalten Landschaften gleichen könnte! Aber ich habe unzählige Erinnerungen; das ist meiner Meinung nach besser als eine Realität, deren Charme im Allgemeinen die Gedanken zu sehr belastet.” Den eigentümlichen Untertitel „symphonische Skizzen” könnte Debussy von der seinerzeit sehr erfolgreichen Komposition La Mer. Esquisses symphoniques d’après un poème de Eddy Levis (1890) des belgischen Komponisten Paul Gilson (1865–1942) übernommen haben. Auf den ersten Blick verweist der Titel der ersten Skizze auf einen konkreten Ort – die Îles Sanguinaires sind kleine Inseln im Golf von Ajaccio vor der Westküste Korsikas –, tatsächlich geht er jedoch wohl auf eine gleichnamige, 1893 erschienene Novelle des französischen Schriftstellers Camille Mauclair (1872–1945) zurück. Möglicherweise spielte eine weitere literarische Gestaltung des Meeres, die Novelle Escale en rade de Nemours von Pierre Louÿs (1870–1925), die ein Unwetter auf dem Meer schildert, bei der Entstehung von La Mer eine anregende Rolle, denn Debussy wurde bei seinem Aufenthalt in Bichain im Sommer 1903 ein Exemplar des entsprechenden, gerade erschienenen Sammelbandes Sanguines vom Autor zugeschickt. Seinem Verleger Jacques Durand (1865–1928), dem er am selben Tag wie Messager das neue Werk mit den Einzeltiteln bekannt gegeben hatte, versprach er, La Mer noch in Bichain beenden zu wollen oder zumindest weit voranzubringen. Es ist nicht bekannt, inwieweit dies der Fall war. Offenbar konnte Debussy erst im Sommer des nächsten Jahres, den er von Ende Juli bis Mitte Oktober tatsächlich am Meer, zunächst auf der Kanalinsel Jersey und danach in Pourville bei Dieppe an der normannischen Küste, verbrachte, an der Komposition weiterarbeiten. Seinen Verleger unterrichtete er regelmäßig über seine Arbeiten. Hieß es Anfang August 1904 noch unbestimmt, aber verheißungsvoll: „Das Meer ist sehr gut für mich gewesen; es hat mir alle seine Seiten gezeigt”, so musste der Komponist am 24. September erklären: „Ich wollte La Mer hier beenden, aber es bleibt mir noch die Instrumentation zu vervollkommnen, die wild und wechselhaft ist wie … das Meer!” Obwohl Debussy nach seiner Rückkehr nach Paris durch andere Arbeiten eingespannt war, wurde der Vertrag über die Herausgabe des neuen Werkes bereits am 22. Dezember 1904 geschlossen, so dass Debussy wegen der Abgabe des Manuskriptes unter Zeitdruck geriet. Dieser verstärkte sich einerseits durch krankheitsbedingte Ausfälle, andererseits durch nachträgliche Änderungen. So fragte er am 6. Januar 1905 nach, ob er Durand schon den neuen Titel des ersten Satzes angegeben habe; es scheint also, als ob Debussy erst zu einem relativ späten Zeitpunkt die definitiven Titel der Rahmenteile – De l’aube à midi sur la mer [Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer] sowie Dialogue du vent et de la mer [Dialog des Windes mit dem Meer] – formuliert habe. Außerdem berichtete er am 13. Januar, dass er den Schluss von Jeu de vagues [definitiver Titel später: Jeux de vagues] habe umändern müssen. Nach weiteren Verzögerungen konnte er Durand, der sich damals in Südfrankreich aufhielt, am 6. März 1905 endlich mitteilen: „Seien Sie beruhigt, mein lieber Freund, la Mer ist beendet und seit Samstag [= 4. März] in der Hand der Stecher, Kopisten usw.” Die Datierung „5 mars 1905” am Ende der auto graphen Partitur (A) scheint zu dieser Nachricht im Widerspruch zu stehen, aber Debussy dürfte den Verlagsmitarbeitern zunächst nur einen Teil der Partitur übergeben haben. Die mit einer Widmung an Jacques Durand versehene Drucklegung, für die Debussys Autograph die Stichvorlage lieferte, verlief zügig. Bereits am 18. Juli 1905 ging die Partitur (E1) bei der französischen Pflichtexemplarstelle („Dépôt légal”) ein, offiziell erschien sie am 15. November 1905. Die Zwischenzeit nutzte der Komponist für Korrekturen und Änderungen, wie der Vergleich zwischen Voraus- und Druckexemplaren zeigt.
Die Uraufführung am 15. Oktober 1905 in den Pariser Concerts Lamoureux unter der Leitung von Camille Chevillard (1859–1923) erlebte wie die Wiederholung eine Woche später eine verhältnismäßig kühl-reservierte Aufnahme. Einerseits waren weder Dirigent noch Orchester auf diese Musik genügend vorbereitet, andererseits waren selbst die Freunde und Anhänger Debussys so sehr auf eine Fortsetzung des Stils von Pelléas et Mélisande fixiert, dass die andersartige, auf klarere Linien und Formen bedachte Gestaltung von La Mer irritierte. Das Werk erlebte in der Folgezeit vereinzelte Aufführungen (u. a. in Brüssel und in New York), aber der Umschwung in der Gunst des Publikums trat erst Anfang 1908 ein, als Debussy erstmals selbst am Pult stand und zunächst in Paris am 19. und 26. Januar, nachfolgend auch in London und Rom La Mer dem Publikum vorführte. Offenbar waren diese Hörerfahrungen ausschlaggebend für Modifikationen, die 1909 in eine zweite, veränderte Ausgabe der Partitur (E2) einmündeten. Da Belege für weitere intendierte Änderungen fehlen, repräsentiert diese zweite Partiturausgabe gleichsam Debussys letzten Willen für La Mer und bildet selbstverständlich die Hauptquelle für die vorliegende kritische Neuausgabe. Erst nach dem Tode Debussys erschienen weitere, hier nicht weiter zu berücksichtigende Auflagen, die teilweise mit der ersten, teilweise mit der zweiten Edition übereinstimmen, teilweise aber auch eine Mischung aus beiden repräsentieren. Erschwert wird dieser eindeutige Befund durch drei erhaltene Exemplare der Partitur-Erstausgabe mit eingetragenen autographen Änderungen (K1, K2, K3), die zum Teil voneinander abweichen und keineswegs sämtlich in der zweiten Ausgabe von 1909 berücksichtigt wurden. Auch wenn zurzeit nicht alle Fragen geklärt werden können, da eines dieser Partiturexemplare bisher nur teilweise zugänglich ist, konnte doch durch den umfassenden Vergleich dieser eigenhändigen Eintragungen das Verhältnis der Revisionsquellen zueinander näher bestimmt und damit deren Relevanz für die Neuausgabe neu bewertet werden (vgl. Revisionsbericht). Wann genau der Komponist diese Modifikationen notierte, ist nicht bekannt, jedoch sind sie spätestens für den Beginn des Jahres 1908 nachweisbar, da Debussy sich am 8. Januar 1908 an Édouard Colonne mit einigen Änderungsund Korrekturwünschen wandte (vgl. Revisionsbericht). Der Leiter der berühmten Concerts Colonne sollte ursprünglich La Mer am 12. Januar 1908 selbst dirigieren, sagte dann aber ab, als sich die Proben als überaus schwierig erwiesen, und Debussy musste wie erwähnt an den beiden folgenden Sonntagen (19. und 26. Januar) selbst einspringen.
Nach den erfolgreichen Aufführungen unter Debussys Leitung wurde La Mer bald überall als Meisterwerk erkannt und gewürdigt. Das Werk gelangte relativ rasch ins Konzertrepertoire und dürfte heute nach III IV Prélude à „L’après-midi d’un faune” das meistgespielte Orchesterwerk des Franzosen sein. Dieser Erfolg gründet sich einerseits auf die formale Nähe zu einer Symphonie, die schon die Zeitgenossen hervorgehoben haben, andererseits auf eine Klanglichkeit, die, ebenfalls von Anfang an, mit dem schillernden Begriff des Impressionismus in Verbindung gebracht wurde. Wenn die ersten Kritiker jedoch bemängelten, sie hörten oder spürten das Meer in der neuen Komposition nicht oder nur unzureichend, so gaben sie einem Missverständnis Ausdruck, das, gefördert durch die Titel der drei Teilsätze, La Mer als tonmalerische Programmsymphonie deutet. Wie Debussys Reaktion auf diese Kritiken, aber auch einzelne Stellen in seinen Schriften zeigen, war es ihm nicht um die musikalische Illustration des Meeres, sondern vielmehr um eine Analogie von Geräuschen, Farben und Bewegungen des Naturphänomens in Klängen, Harmonien und Rhythmen zu tun, es war, pointiert gesagt, „Bild, nicht Abbild, was dem Komponisten vorschwebte”. Die Natur war eine der bedeutendsten Inspirationsquellen für den Künstler Debussy, jedoch nicht als Vorlage für illustrative Nachahmungen, sondern als genuin musikalisches Vorbild; das Unzulängliche der Kunstwerke ihr gegenüber war dem Komponisten sehr wohl bewusst. Am 28. Juli 1915 schrieb er aus Pourville, das Meer sei „bewundernswert” und „wirklich schön, schöner als la Mer eines gewissen C.D.”
Für die freundliche Bereitstellung der Quellen sei der Bibliothèque nationale de France (Paris), der British Library (London), die auch den Abdruck des Faksimiles erlaubte, der Paul Sacher Stiftung (Basel) sowie der Sibley Music Library, Eastman School of Music (Rochester/New York) gedankt. Mein besonderer Dank gilt des Weiteren den Herren Dr. Felix Meyer (Basel) und Dr. Denis Herlin (Paris) für wertvolle Auskünfte und Hilfen sowie einmal mehr dem Verlagslektor Christian Rudolf Riedel für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.
Buchloe, Frühjahr 2006 Peter Jost
Den vollständigen Text mit Fußnoten/Anmerkungen bieten wir als PDF zum Download an.