Isabel Mundry (*1963) / Brice Pauset (*1965) Das Mädchen aus der Fremde
Musiktheater Dauer: 100' Text: Friedrich Schiller
Chor: SMezATB/SMezATB/SMezATB – Ensemble: 2Fl.Ob.2Klar.Fag – 2Hn.Trp.Pos – 3Schl – Klav – 7Vl.3Va.2Vc.Kb
UA: Mannheim, 25. Mai 2005
Musiktheater über Schillers Gedichte „Der Tanz“ und „Das Mädchen in der Fremde“ für Schauspieler, Tänzer, Chor und großes Instrumentalensemble
Gemeinschaftsprojekt zwischen Isabel Mundry, Brice Pauset und Reinhild Hoffmann (Tanz). Die Verlagsrechte für Pausets Teil liegen bei Edition Henry Lemoine
Der Tanz
Siehe, wie schwebenden Schritts im Wellenschwung sich die Paare
Drehen! Den Boden berührt kaum der geflügelte Fuß.
Seh' ich flüchtige Schatten, befreit von der Schwere des Leibes?
Schlingen im Mondlicht dort Elfen den luftigen Reihn?
Wie, vom Zephir gewiegt, der leichte Rauch in die Luft fließt,
Wie sich leise der Kahn schaukelt auf silberner Flut:
Hüpft der gelehrige Fuß auf des Takts melodischer Woge,
Säuselndes Saitengetön hebt den ätherischen Leib.
Jetzt' als wollt' es mit Macht durchreißen die Kette des Tanzes,
Schwingt sich ein mutiges Paar dort in den dichtesten Reihn.
Schnell vor ihm her entsteht ihm die Bahn, die hinter ihm schwindet;
Wie durch magische Hand öffnet und schließt sich der Weg.
Sieh'! jetzt schwand es dem Blick; in wildem Gewirr durcheinander
Stürzt der zierliche Bau dieser beweglichen Welt.
Nein, dort schwebt es frohlockend herauf, der Knoten entwirrt' sich;
Nur mit verändertem Reiz stellet die Regel sich her.
Ewig zerstört, es erzeugt sich ewig die drehende Schöpfung,
Und ein stilles Gesetz lenkt der Verwandlungen Spiel.
Sprich, wie geschieht's, dass, rastlos erneut, die Bildungen schwanken,
Und die Ruhe besteht in der bewegten Gestalt?
Jeder, ein Herrscher, frei, nur dem eigenen Herzen gehorchet
Und im eilenden Lauf findet die einzige Bahn?
Willst du es wissen? Es ist des Wohllauts mächtige Gottheit,
Die zum geselligen Tanz ordnet den tobenden Sprung,
Die, der Nemesis gleich, an des Rhythmus goldenem Zügel
Lenkt die brausende Luft und die verwilderte zähmt.
Und dir rauschen umsonst die Harmonien des Weltalls?
Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs?
Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen?
Nicht der wirbelnde Tanz, der durch den ewigen Raum
Leuchtende Sonnen schwingt in kühn gewundenen Bahnen?
Das du im Spiele doch ehrst, fliehst du im Handeln, das Maß.
Das Mädchen aus der Fremde
In einem Tal bei armen Hirten
Erschien mit jedem jungen Jahr,
Sobald die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen schön und wunderbar.
Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wusste nicht, woher sie kam;
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.
Beseligend war ihre Nähe,
Und alle Herzen wurden weit;
Doch eine Würde, eine Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.
Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
In einer glücklichern Natur,
Und teilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus;
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.
Willkommen waren alle Gäste;
Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blume allerschönste dar.
„Der Tanz“ und „Das Mädchen aus der Fremde“ – Zwei Gedichte von Friedrich Schiller bilden die Koordinaten für einen Musiktheater-Abend. Ein „work in progress“ der Komponisten Isabel Mundry und Brice Pauset in Zusammenarbeit mit der Regisseurin und Choreographin Reinhild Hoffmann, an deren Anfang die Auseinandersetzung mit Schiller und seinem Werk und hier insbesondere seiner Lyrik stand. „Der Tanz“, eine Elegie über „die Macht der Musik“ von 1795 (Friedrich Schiller in einem Brief an Gottfried Herder, 1795) und „Das Mädchen aus der Fremde“, das Schiller mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahre 1796 verfasst hat, sind dem ersten großen lyrischen Produktionsschub nach einer langen Phase der Theoriearbeit zugehörig. Dennoch sind es zwei sehr unterschiedliche lyrische Entwürfe, die in diesem Musiktheater aus verschiedenen künstlerischen Perspektiven betrachtet werden: Zwei Gedichte in dreifacher Wahrnehmung.
Auf dieser Grundlage komponieren Isabel Mundry und Brice Pauset jeweils einen Teil des Abends. Für sie ist das neue Projekt nicht die erste kompositorische Zusammenarbeit. In „Die Vorüberlaufenden“ schrieben sie nach kurzen Eingangskompositionen das kammermusikalische Stück Takt für Takt abwechselnd weiter, schließlich Note für Note. In dem Musiktheaterprojekt werden sie den Dialog in anderer Form und zusammen mit der Regisseurin und Choreographin Reinhild Hoffmann erweitern. Die Möglichkeiten dieses gemeinsamen Dialogs sind dabei ebenso vielfach wie der Raum, individuell zu arbeiten.
Reinhild Hoffmann inszeniert die Kompositionen und wird sich darüber hinaus in einem dritten Teil von ihrer Seite aus den Texten Schillers nähern und die dreifache Sicht auf diesen Autor zu einem Musiktheaterabend bündeln. Ein Werk für Schauspieler, Tänzer, Instrumentalisten und Chor, als Team-W(e)ork verstanden: Musiktheater als von der geschlossenen Partitur losgelöster offener Prozess, der auf der Bühne weitergeschrieben wird.
(Text: Nationaltheater Mannheim, Dramaturgie)