Hanns Eisler (1898-1962) Eisler-Studien Band 1
Beiträge zu einer kritischen Musikwissenschaft herausgegeben im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft
50 Jahren nach Erscheinen des Operntexts 1952. Symposion
160 Seiten | 17 x 24 cm | 309 g | ISBN: 978-3-7651-0381-0 | Broschur, Fadenheftung
Die Eisler-Schriftenreihe beginnt mit einem Thema, das auch nach einem halben Jahrhundert kaum an Brisanz verloren hat: Hanns Eislers gescheitertes Opernprojekt Johann Faustus. Die Beiträge der Berliner Tagung von 2002 beleuchten Eislers ambitioniertes Vorhaben unter verschiedenen Aspekten – angefangen von Eislers Textmontage und musikalischer Konzeption bis hin zur Kontroverse der Faustus-Debatte. Die Beiträge rücken Eislers Faustus in den Zusammenhang der damaligen kulturpolitischen Vorstellung einer Deutschen Nationaloper und stellen Verbindungen zum Umfeld der politischen Situation kurz vor dem Volksaufstand in der DDR 1953 her.
Engelhardt, Michael von | Zur Topographie des Imaginären in Hanns Eislers Johann Faustus | |
Faßhauer, Tobias | Die musikalischen Quellen zu Hanns Eislers Johann Faustus | |
Hartmann, Anne | Zur sowjetischen Vorgeschichte und stalinistischen Semantik der Faustus-Debatte | |
Köster, Maren | Negative und positive Helden? Probleme der Rezeption der Faustus-Debatte | |
Rienäcker, Gerd | Stichworte zur Debatte über die Nationaloper in der DDR eingangs der fünfziger Jahre | |
Schweinhardt, Peter | Hanns Eislers Wege zum musikalischen Theater | |
Wißmann, Friederike | Johann Faustus. Eislers Materialien und die Komposition des Textes |
Im August 1952 schloss Hanns Eisler die Arbeit an seinem Operntext Johann Faustus – vorerst – ab, und noch im gleichen Jahr kam das Werk im Berliner Aufbau-Verlag heraus. Das 50-jährige Erscheinungsdatum dieses Texts nahm die Internationale Hanns Eisler Gesellschaft zum Anlass, in Kooperation mit der Berliner Akademie der Künste ein Symposion zu veranstalten, das am 3. und 4. Oktober 2002 in den Räumen der Akademie stattfand. Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten Fassungen der Symposionsbeiträge. Sie widmen sich Aspekten der Stoffgeschichte und des literarischen Arbeitsprozesses an Johann Faustus, den überlieferten musikalischen Skizzen und Eislers kompositorischen Bemühungen um die Gattung Oper allgemein sowie den individuellen, kulturpolitischen und historischen Rahmenbedingungen der Faustus-Debatte.
Gründend auf ihrer editorischen Beschäftigung mit Johann Faustus im Rahmen der Hanns Eisler Gesamtausgabe, geht Friederike Wißmann den literarischen und ideengeschichtlichen Verbindungslinien des Werkes nach und plädiert für dessen Würdigung vorab als literarische Arbeit. Michael von Engelhardt weist auf in der Eisler-Forschung bislang wenig oder gar nicht beachtete stoffgeschichtliche Bezüge des Johann Faustus zu historischen und imaginären Kontexten hin, zu Topoi des alten Europa und der neuen Welt, mithin zu alten und neuen Weltordnungen und Weltordnern, zu Conquista, Sklaverei, Antisemitismus.
Die mit Eisler als Komponist befassten Beiträge von Tobias Faßhauer und Peter Schweinhardt ergänzen sich. Faßhauer zeigt auf, was man anhand gründlicher philologischer Analyse der vorliegenden Skizzen über die Gestalt von Eislers Faustus-Musik sagen kann, und was nicht. Ich selbst versuche, durch die Untersuchung der kompositorischen Strategien zweier von Eislers Opernanläufen (150 Mark von 1927 und Goliath von 1937) zu Auskünften über Eisler als Opernschreiber, auch als Faustus-Opernschreiber zu gelangen.
Einen erneuten und neuen Blick auf die Faustus-Debatte schlägt Maren Köster vor, benennt Unschärfen und offene Fragen bisheriger Beschäftigung mit dieser von der Autorin im doppelten Wortsinn als ›legendär‹ bezeichneten Debatte und wirbt für eine von Vorurteilen und individuellen Spätfolgen des Kalten Krieges freien Auseinandersetzung mit der Materie. Auf die historische Verwurzelung der Faustus-Debatte zielt Anne Hartmanns Beitrag, in dem sie das Be- und Verfangensein von beteiligten Personen und Positionen der Debatte wie auch anderer Elemente der damaligen DDR-Kulturpolitik in den sowjetischen Formalismus-Diskursen der frühen dreißiger Jahre detailliert nachvollzieht. Gerd Rienäcker schließlich greift in seinem Text zur in der frühen DDR virulenten Debatte um eine neue deutsche Nationaloper auf politische Kontexte nicht nur der frühen DDR aus. Dabei knüpft er an einen eigenen, unter den gesellschaftlichen Bedingungen in der DDR der mittleren siebziger Jahre verfassten Aufsatz an und nimmt eine Neubewertung des Gegenstandes und der eigenen damaligen Argumentationen und Positionen vor.
Die Frage der Eignung des Johann Faustus als Textvorlage für eine Oper thematisierte ein Gesprächskonzert, das im Rahmen des Symposions unterschiedliche Vertonungen vorstellte. Zu hören waren Eislers eigene kohärente Skizzen zum Faustus sowie als Erstaufführungen Auszüge von Kompositionen Karl Heinz Füssls und Friedrich Schenkers. Darüber hinaus gaben drei Komponisten Auskunft über ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Johann Faustus: die beiden Eisler-Schüler Wolfgang Hohensee und Siegfried Matthus sowie Friedrich Schenker. Leider konnte das Gesprächskonzert in diesem Band nicht dokumentiert werden. Gleichsam als praktischer Kommentar zur Frage der Operntauglichkeit des Johann Faustus wurde aber mittlerweile, im Mai 2004 am Staatstheater Kassel, Friedrich Schenkers Faustus-Oper uraufgeführt.
Beinahe unvermeidlich geriet das Symposion in die Nachfolge jener früheren, notorischen Faustus-Debatte, die sich im Frühsommer 1953 an der Ost-Berliner Akademie der Künste über Eislers Opernprojekt entspann und damals mit zu dessen Abbruch beitrug. Ein merkwürdiger, später Erfolg der Eisler-Kritiker von 1953 bestand darin, dass die Debatte um Johann Faustus in der wissenschaftlichen und künstlerischen Rezeption über lange Zeit breitere Beachtung erfuhr als ihr literarischer Gegenstand.
Die Rückkehr des Werkes selbst in die Akademie und in die akademische Diskussion stand im Herbst 2002 naturgemäß unter einem anderen, einem günstigeren Stern als ein halbes Jahrhundert zuvor: Johann Faustus ist mittlerweile kein unbekanntes Werk mehr, die Ausgabe des Texts und Eislers umfänglicher Arbeitsmaterialien im Rahmen der historisch-kritischen Hanns Eisler Gesamtausgabe steht unmittelbar bevor, und eine aus dieser Editionsarbeit erwachsene Untersuchung von Text und Kontext des Werkes durch seine Editoren Gert Mattenklott und Friederike Wißmann erscheint als zweiter Band der Eisler-Studien und damit in Ergänzung zu diesem Symposionsbericht. Damit sei die Hoffnung verbunden, den hohen Stellenwert des Johann Faustus nicht nur innerhalb von Eislers Lebenswerk, sondern auch als eines bedeutenden Beitrages zur deutschen Nachkriegsliteratur ins Blickfeld zu rücken.