Hans Zender (1936–2019) Cabaret Voltaire
[S,Okt] 2001/2002 Dauer: 21' Text: Hugo Ball
S. Fl (auch Picc u. A-Fl). Ob. Klar[B](auch[A] und B-Klar[B]). Schl.Klav.Vl.Va.Vc
UA: Museumsinsel Hombroich (Inselfestival), 11. Mai 2002
Hugo Ball und seinem Buch „Byzantinisches Christentum“ verdanke ich die Figur des Säulenheiligen in meiner Oper „Stephen Climax“. Ursprünglich wollte ich auch die 6 Lautgedichte, welche Ball für die Vortragsabende im „Cabaret Voltaire“ in Zürich im Jahr 1916 geschrieben hatte, in die Oper integrieren und sie dem Säulenheiligen in den Mund legen. Der Weg von DADA zu dem vernunftkritischen Anarchismus der frühchristlichen Wüstenväter, zur negativen Theologie, ja zur urchristlichen Glossolalie ist ja nicht so weit, wie es dem modernen Kulturmenschen scheinen mag; hat Ball selber doch bekannt: „Als mir das Wort Dada begegnete, wurde ich zweimal angerufen von Dionysios Areopagita. D.A. – D.A.“ Und manche Stellen seiner Tagebücher zeigen den existentiellen Ernst, der hinter dem scheinbar heiteren Nonsens steckt, den Ball in seinen „Versen ohne Worte“ fabrizierte – übrigens nur wenige Straßen entfernt von Ernst Bloch und Walter Benjamin, mit denen er später zusammenarbeitete. „Was wir Dada nennen“, schreibt Ball, „ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind ... Es war soviel Verzweiflung beim Dadaismus, wenigstens im Beginn, da er noch keine Modeangelegenheit, noch nicht durchgesetzt, also ganz echt gemeint war.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Mit diesen Tongedichten wollen wir verzichten auf eine Sprache, die verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen uns in die tiefste Alchimie des Wortes zurückziehen und selbst die Alchimie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren.“
Der Plan einer Integration der Lautgedichte in meine Oper ließ sich aus formalen Gründen nicht durchführen, doch ich nahm mir vor, früher oder später ein Stück über diese Texte zu machen. Und als ich diese Arbeit endlich in Angriff nahm, bestätigte sich für mich nicht nur die ungebrochene Aktualität der Ballschen Grundanliegen – trotz der noch größer gewordenen zeitlichen Distanz –, sondern auch die Qualität seiner Verse. Er hatte darin etwas vorweggenommen, das man in der späteren musikalischen Entwicklung „strukturelles Denken“ nennen wird. Die Aufgabe des Musikers konnte nur darin bestehen, diese strukturellen Keime – Silbenform, repetitive Reihung, Silbenzahl pro Zeile, Zeilenzahl – aufzunehmen und zu komplexen (in manchen Fällen polyrhythmischen) Netzen zu verbinden. Jeder subjektive Ausdruck, von Schmerz wie von Heiterkeit, musste ins Absurde übersteigert werden, so dass er nicht mehr „ichhaft“ erscheint; die bildhaften Assoziationen, von denen die Verse überquellen, mussten gemäß dem Ballschen Ausspruch „Das Wort und das Bild sind eins. Maler und Dichter gehören zusammen“, von der Musik auf ihre Weise unterstützt und weitergeführt werden, ohne dass eine formal geschlossene Einheit entstand. Und am Ende begleitet die Musik die Sprache bei ihrem Übergang ins Schweigen, in „die versunken ächzende Stummheit der Fische“ (Ball).
(Hans Zender, 2003)
CD:
Salome Kammer (Stimme), Klangforum Wien, Ltg. Hans Zender
Kairos 0012522KAI
Bibliografie:
Staiber, Maryse: Hans Zender revisite „Cabaret Voltaire“, in: Unité – Pluralité. La musique de Hans Zender. Colloque Strasbourg 2012, hrsg. von Pierre Michel, Marik Froidefond und Jörn Peter Hiekel, Paris: Hermann 2015, S. 187-201.
1. Wolken |
2. Katzen und Pfauen |
3. Totenklage |
4. Gardij beri bimba |
5. Karawane |
6. Seepferdchen und Flugfische |