Jürg Baur (1918–2010) Kaleidoskop
Suite [Org] 1990 Dauer: 7'
Uraufführung: Darmstadt, 7. April 1990
20 Seiten | 28 x 37,5 cm | 143 g | ISMN: 979-0-004-17946-8 | Broschur
Ein ganz anderer (neuer?) Baur keine Bindung an einen cantus firmus, keine barocke Form stattdessen vier suitenartig, in lockerer Form aneinander gereihte Sätze. Schon die Überschriften deuten auf Neues; der Gesamt-Titel: Kaleidoskop die einzelnen Teile: Sisyphus, Spiegelung, Artisten, Marionetten; spielerisch frei entworfene Stücke, heiter, besinnlich, humorvoll.
1. Satz: Zwei thematische Bewegungen charakterisieren den Ablauf des Sisyphus eine durch Pausen unterbrochene einstimmige Rollfigur wechselt ständig mit einem stereotypen Fünfton-Ostinato einem Motiv, das in vielfacher Veränderung wiederkehrt und schließlich girlandenförmig in die Tiefe fällt, symbolisch für das vergebliche Bemühen der altgriechischen Sagengestalt.
Das zweite Stück, Spiegelungen, wird ein- und ausgeleitet durch einen melancholischen Gedanken; dieser mündet in einer Gruppe von statischen, streng imitierten, ineinander geschobenen Spiegelklängen. Eine bewegte Figur führt zu einer 5/8-Periode, bei der die Oberstimme um fünf Töne kreist; am Ende steht wieder die Spiegelklang-Episode, auf einem Einzelton verlöschend: das Ganze ein ruhiges, fast aleatorisch wirkendes Intermezzo.
3. Satz: Eine virtuose Studie mit kreisenden Rastelli-Tongruppen, dodekaphonisch geordneten Quintolen, begleitet von rhythmisch gegenläufigen Klangimpulsen, immer wieder unterbrochen von rezitativischen Pedal-Bass-Soli. Zum Ende, kraftvolle Zusammenballung aller thematischen Elemente eine artistische Toccata, gipfelnd in dissonanten Klangtürmen.
Das Finale: Marionetten, eine fünfteilige Brückenform ABCBA. Der Satz fügt sich aus drei thematischen Abschnitten zusammen; der erste: eine abwärts gerichtete Zwölfton-Melodie, in ein Klangfeld mündend, das sich zum vielschichtigen Akkord weitet; der zweite: ein verhülltes Menuett mit fünftonigem Bass-Ostinato und marionettenhaft gezirkelten Bewegungen in Melodie und Begleitung; der dritte: ein in streng serieller Manier durchgeführter Abschnitt mit spiegel- und krebsförmigen Entsprechungen. Formteil B und A schließen sich als variierte Reprise an. Die Coda wird gebildet von dreifach geschichtetem Trillerfeld, der Zwölfton-Melodie des Anfangs und einer Kadenz mit drei Akkorden in tiefer Lage: ein stiller Ausklang des Kaleidoskops.
(Jürg Baur)
Bibliografie:
Richter, Reinhold: Zwischen Tradition und Avantgarde zwischen Zweifel und Hoffnung. Einige Notizen zur Chor- und Orgelmusik von Jürg Baur anlässlich des 85. Geburtstages im vergangenen November, in: Forum Kirchenmusik 54 (2003), Heft 6, S. 23-31.