Misato Mochizuki (*1969) Homeobox
[Klav,Vl,Orch] 2000/01 Dauer: 18'
Soli: Klav.Vl – 2.2.3.2. – 4.3.2.1. – Schl(5) – Hfe – Str 12.10.8.6.4
UA: Berlin (Musik-Biennale), 15. März 2001
Auftragswerk der Musik-Biennale
Die moderne Wissenschaft hat die Existenz eines allen Lebewesen gemeinsamen Erbgutes (‘Homeobox’) herausgefunden, das heißt eine Genmenge, die genauso in der DNA eines Baumes oder eines Fisches zu finden ist. Die genetischen Codes der Fliege und des Menschen stimmen zu 80 % überein; und dieses Beispiel beweist die enge Verwandtschaft aller lebenden Materie. Man kann alle Tier- und Pflanzenarten als Verwandte einer einzigen Oberfamilie betrachten. Ebenso kann man das Leben als Informationssystem auffassen, innerhalb dessen die Mitteilungen durch die Gene von einem Individuum an das nächste weitergegeben werden, und wo im Laufe der Zeit Übertragungsirrtümer entstehen, die den Ursprung der unglaublichen Vielfalt der Lebensformen darstellen. In diesem Werk folgen das Klavier, die Violine und das Orchester der Vererbungstheorie: Sie sind musikalische Lebewesen, denen ein einfaches musikalisches Erbgut gemeinsam gehört. Meine Arbeit konzentriert sich auf die Wechselwirkungen und das Zusammenfügen dieser Elemente, die Wiederholung, Überlagerung, Massierungseffekte, Einführung von Veränderungen (Irrtümer in der Verdoppelung, Einfügen oder Entfernen von Sequenzen). Ich ordne Ketten von ‘musikalischer DNA’, ich unterbreche sie, und in ein flächendeckendes Schallnetz bohre ich Löcher, ich falte es innerlich, ich führe ein Körnungschaos mitten in ein geordnetes System ein.
Eine organische Sprache nimmt Gestalt an, indem sie die Energien zirkulieren und sich im Kontakt mit Tonhöhen und Rhythmen anreichern lässt. Die unterirdischen Bewegungen und die plötzlichen Ansteckungen wirken im gleichen Raum, die Solisten übertönen das Orchester nicht, sondern sind Stimmen unter anderen. Sie erdulden oder initiieren nach und nach die Verstimmungen und die inneren Logiken dieses großen Körpers.
Misato Mochizuki