Jürg Baur (1918–2010) Frammenti – Erinnerungen an Schubert
[Orch] 1995/96 Dauer: 22'
2(Picc).2(Eh).2.2. – 2.2.3.0. – Hfe – Pk.Schl(2) – Str
UA: Duisburg, 15. Januar 1997
"Kein authentisches Zitat ertönt, nur einige weniger bekannte und vertraute Motive aus der späten Kammermusik klingen an, werden variiert und verwandelt, kontrapunktisch verknüpft, beschwören schattenhafte Erinnerungen, verwehte Spuren (= Frammenti) an Lieder, Klavier- und Streichstücke."
(Jürg Baur)
Thematische Fragmente, harmonische Wendungen, rhythmische Impulse aus verschiedenen Kammermusikwerken von Schubert bestimmen Form, Gliederung und Verlauf dieses fünfsätzigen Orchesterwerks, das zum 200. Geburtstag Franz Schuberts für das Schubert Festival Duisburg komponiert wurde.
Kein authentisches Zitat ertönt, nur einige weniger bekannte und vertraute Motive aus der späten Kammermusik klingen an, werden variiert und verwandelt, kontrapunktisch verknüpft, beschwören schattenhafte Erinnerungen, verwehte Spuren an Lieder, Klavier- und Streicherstücke.
Die fünf Sätze können auch in "verkürzter" Form zusammengestellt werden, also z. B. I II III oder II I IV oder II III IV.
Satz V kann als "Zu"-Satz ad libitum einbezogen werden.
I. Wetterfahne (Doppelgänger)
Reminiszenzen an drei Lieder aus der Winterreise bestimmen den Verlauf: der Passacaglia-Baß aus dem "Doppelgänger", die Girlande der "Wetterfahne" und der Melodienbeginn des "Wegweisers" - in Verbindung mit weit ausgebreiteten Klangflächen über unerbittlichem (Wanderer)-Pulsschlag (Rhythmus).
II. Stürmischer Morgen
Aus den Tremolo-Figuren (Beginn des c-moll-Satzes für Streichquartett D 703) entwickelt sich ein unruhiges (sehr bewegtes) Perpetuum mobile, in dessen Verlauf auch die die kantable Melodie aus Schuberts gleichnamigem Werk auftaucht.
Motto: "Und es fährt schnell dahin, als flögen wir davon."
III. Der weite Himmel
Drei verschiedene "Elemente" (Schubert-Bezüge) bestimmen den Charakter des langsamen Satzes: die lyrische Melodie des Adagios aus der Klaviersonate a-moll op. 143 (verknüpft mit dem eigenständigen rhythmischen Kontrastmotiv), die Ruderschlag-Figur aus dem Heine-Lied Die Stadt und der Torso des Andante-Hauptthemas des letzten Streichquartetts G-dur op. 161.
Motto: "Und der Himmel da oben, wie ist er so weit."
IV. Ende der Reise
Das Finale: eine totentanzähnliche Fantasie, abgeleitet vom f-moll-Klavier-Impromptu aus op. 142. Einbezogen wird in den turbulenten Ablauf ein Melodiefragment aus dem Trio der letzten Klaviersonate B-dur D 960. Das aufsteigende Presto-Unisono zu Anfang kehrt am Satzende in umgekehrter Richtung wieder und führt unerbittlich in die Tiefe: das harmonisch-schroffe, düstere Ende.
V. Rückblick
Der "Zu"-Satz, ein kleines Experiment (an beliebiger Stelle in das Werk einzubeziehen), die Verbindung der Sarabande aus Bachs Englischer Suite g-moll mit dem Schubert-Lied "Der greise Kopf" aus der Winterreise, beide Stücke im gleichen Grund-Metrum: Viertaktgruppen von Bach und Schubert fügen sich nahtlos an- und ineinander - ein besonderer Rückblick in die Vergangenheit.
(Jürg Baur)
Bibliografie:
Wallerang, Lars: Die Orchesterwerke Jürg Baurs als Dialog zwischen Tradition und Moderne, Köln: Dohr 2003.
1. Wetterfahne (Doppelgänger) |
2. Stürmischer Morgen |
3. Der weite Himmel |
4. Ende der Reise |
5. Rückblick |