Siegfried Matthus (1934–2021) Capriccio „Kraft-Variationen“
über ein Thema von Paganini [Vl,Orch] 1999 Dauer: 17'
Solo: Vl – Picc.1.1.Eh.1.B-Klar.1.Kfg – 2.0.0.1 .- Schl(3) – Synth – Str
UA: Berlin, 2. Dezember 1999
Die Komposition des Capriccios ist von zwei Auftraggebern angeregt worden. Bei der schönen Aufführung meines Manhattan Concerto unter der Leitung von Kurt Masur mit dem Orchester der Komischen Oper im Januar 1998 spielte Yamei Yu als Konzertmeisterin zu unser aller Freude mit großer Bravour die darin enthaltenen Violinsoli. Daraufhin entstand von seiten der Komischen Oper der Wunsch, daß ich für sie ein Violinkonzert schreibe. Unabhängig davon bat mich ein wohlwollender Mäzen, der auf eigenen Wunsch nicht genannt werden möchte, um eine Komposition über ein Thema von Paganini. Beides fügte sich wunderbar zusammen.
Mir ging es darum das berühmte a-moll-Thema aus den Capricen nicht im klassischen Sinne zu variieren, sondern als musikalische Anregung für ein virtuoses Spiel der Solistin und des Orchesters zu nutzen. Yamei Yu ist eine Meisterin in allen technischen Belangen des Violinspiels. Selbst wenn ich in dieser Komposition nicht alle ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten ausnutzen konnte, so habe ich durch sie viele Anregungen erhalten. In meiner Partitur spielt das Schlagzeug eine große Rolle. So war es der Wunsch meiner langjährigen Schlagzeug-Freunde aus dem Orchester Trommelinstrumente - Roto-Toms -, die auf eine genaue Tonhöhe eingestimmt werden können, einzusetzen.
Auf einer Reise im Frühjahr dieses Jahres nach Vietnam lernte ich in Hanoi ein mich sehr faszinierendes einsaitiges Instrument kennen, Bau genannt. Die auf einen Ton gestimmte Saite kann man in den Obertonbereichen zum Klingen bringen und die tönende Saite durch einen Schwinghebel bis zu einer großen Terz nach oben und nach unten umstimmen. Dabei sind sehr diffizile Schwingungen und Verzierungen zu erreichen, die für mich eine wesentliche Assoziation mit asiatischer Musik beinhalten. Dieses Instrument habe ich in meinem Capriccio eingesetzt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Yamei Yu aus China zu uns gekommen ist. Inmitten der virtuosen Abläufe tauchen plötzlich durch keinerlei kompositorische Verknüpfungen vorbereitet musikalische „Inseln“ auf, in denen die Bau von der Violine umspielt und nur von wenigen anderen Instrumenten kontrapunktiert wird.
So ergibt sich auch die musikalisch inhaltliche Idee des Capriccios - äußerlich virtuose Teile stehen nahezu beziehungslos neben sehr verinnerlichten Abschnitten. Ein Abbild unseres Lebens?
(03.11.1999)