Jürg Baur (1918–2010) Carmen-Variationen
Thema, Variationen und Finale über ein Thema aus Bizets „Carmen“ [Orch] 1947 Dauer: 20'
2.2.2.2. – 3.2.3.0. – Pk.Schl(2) – Hfe – Str
UA: Düsseldorf, 23. Mai 1983
1947, während meines letzten Studiensemesters in der Meisterklasse für Komposition von Philipp Jarnach an der Kölner Musikhochschule, erhielt ich vom damaligen Direktor Walter Braunfels die Diplom-Aufgabe, in sechs Wochen ein Variationswerk für Orchester nach gegebenen Thema zu schreiben. Dieses Thema war der „Chor der Straßenjungen“ am Beginn des 1. Aktes von Bizet's „Carmen“. So entstand mein erstes „richtiges“ Orchesterstück und blieb bis heute mein ein einziges größeres Variations-Opus, das jetzt - 36 Jahre nach seiner Vollendung - aus der Taufe gehoben wird (frei nach dem Ausspruch Th. Fontanes: „Was gut und recht ist, kommt nie zu spät!“).
Damals komponierte ich zu dem gestellten Thema elf Charakter-Variationen, in denen das Hauptthema und seine wichtigsten-Motive verarbeitet, verwandelt und im Verlauf der einzelnen Teile mit verschiedenen bekannten musikalischen Gedanken aus der Oper kombiniert und konfrontiert werden.
Zu den einzelnen Variationen:
Wenige Ouvertüren-Takte exponieren das Kernmotiv des „Chors der Straßenjungen“, ehe das Hauptthema in kammermusikalischer Transparenz vorgestellt wird. Die Variationen Nr. 1 und 2 entwickeln das thematische Material rhythmisch, harmonisch und kontrapunktisch weiter, der erste Höhepunkt wird im Marsch der 3. Variation mit hartnäckigen Blechakzenten erreicht.
Dann beginnt mit der Variation Nr.4 die „Verwandlung“ des Hauptthemas: es wird zum „Zigeunerlied“. Die 5. Variation kombiniert die Marschfanfare mit dem berühmten „Torero“-Liedanfang („Auf in den Kampf“). Während die Variationen Nr. 6 und 8 als Presto-Sätze mit Motivfetzen des Hauptthemas ablaufen, entpuppt sich Variation Nr. 7 als „Habanera“: das Marschthema wird mit Carmens Schicksalsmotiv verwoben und im Mittelteil von einer ostinaten (quasi klassischen) Baßfigur begleitet.
Variation Nr. 9 gerät zum rhythmisch-aggressiven „Schlager“, Nr. 10 zur stimmungsvoll-nachdenklichen Elegie für Horn und Streicher. Das Finale schließlich beginnt als humorvolles Fugato, steigert sich bis zur kunstvollen Vergrößerung des Hauptthemas in den Blechbläsern, ehe in einer knappen Coda das. „Ur“-Motiv unerwartet in einer Ganztonleiter endet.
Fazit: Eine „vorwiegend heitere“, kontrastreiche Variations-Suite, aus der Freude am sinnfälligen Verändern und Kombinieren volkstümlicher Themen erwachsen, „zum Ergötzen der Kenner und Liebhaber“.
(Jürg Baur)