Hans Zender (1936–2019) LO-SHU VI
5 Haikai [Fl,Vc] 1989 Dauer: 25'
Uraufführung: Stuttgart, 10. März 1990
Die 5 Haikai sind auch einzeln oder in Gruppen aufführbar.
20 Seiten | 23 x 30,5 cm | 95 g | ISMN: 979-0-004-17942-0 | geheftet
Ich schrieb Lo-Shu VI auf der Suche nach einer weiteren Verknappung meiner musikalischen Sprache. Die Form der klassischen japanischen Haiku-Dichtung wird hier – wie schon in früheren Werken – in folgendem Sinn übernommen: Die 17 Silben des Haiku entsprechen 17 Großtakten eines musikalischen Satzes; jeder dieser Takte ist im Sinn von Tempo und Harmonik eine autonome musikalische Einheit, vergleichbar der ,,Phrase" unserer klassischen Musik (er dauert zwischen 6 und ca. 12 Sekunden). Die Gliederung 5-7-5 des Haiku wird durch zwei lange Pausen deutlich; die Takte selber sind nicht im Sinne einer Entwicklungsform aneinander gefügt, sondern tragen ihr Zentrum in sich selbst.
Ich arbeitete nur zum Teil logisch-konstruktiv; ebenso stark sind informelle, verwischende Elemente zu finden. Die Zeit wird in diesem Stück im dramatischen, vorwärts drängenden Sinn dauernd negiert, ja aufgehoben; es entsteht ein Schwebe-Zustand um eine Art Nullpunkt herum. Die Musik tritt immer wieder in den Zustand des Schweigens ein, in dem die rezeptive Aufmerksamkeit sich regenerieren kann.
Die 5 Haikai bilden keinen Zyklus; sie können deswegen auch einzeln oder in beliebigen Kombinationen gespielt werden. Die Metronomangaben dienen nur der Orientierung. Die Stücke sollen wie in tiefer Versunkenheit improvisiert klingen. Die Pausen sollen so lange gehalten werden, dass die Abschnitte der einzelnen Haikai nicht im Sinne ,,logischer Kontinuität" verbunden erscheinen. Spielt man einen Zyklus, ist darauf zu achten, dass die Pause zwischen zwei Haikai länger als eine große Fermate im Innern des Haiku ist.
(Hans Zender)
Bibliografie:
Class, Oliver: La flute dans le cycle „Lo-Shu“ de Hans Zender, in: Unité – Pluralité. La musique de Hans Zender. Colloque Strasbourg 2012, hrsg. von Pierre Michel, Marik Froidefond und Jörn Peter Hiekel, Paris: Hermann 2015, S. 55-73.