Hans Zender (1936–2019) Animula
[Fl,FCh,Ens] 1988/96 Dauer: 11' Text: Thomas S. Eliot
Solo: Fl(Picc.A-Fl.B-Fl) – Chor: SSAA – 4Fl – Schl(3) – Hfe – 2Vl.2Va.2Vc.2Kb – Tb
Uraufführung: Wien, 6. November 1989
Das „Seelchen“ in Eliots wunderbarem Ariel-Gedicht torkelt nach seiner Geburt wie ein Schmetterling von Bild zu Bild, von Erfahrung zu Erfahrung, schließlich nur noch vom Schatten der Reflexion zum Schatten des Todes: es „lebt“ zum ersten Mal „in the silence after the viaticum“, „im Schweigen nach dem Viaticum“.Gemeint ist das Sterbesakrament. Ein Gedicht, das das Leben in einem Blick umfasst und sich am Ende als eine Art kleines Requiem zu erkennen gibt. Meine Fassung des Eliotschen Poems beginnt mit einer „Viaticum-Musik“ für Bassflöte von äußerster Reduktion, in die hinein sich plötzlich die „Geburt“ des vom Chor lebhaft und bunt deklamierten Textes ereignet. An der Stelle „after the viaticum“ bricht der Text ab, und in einer Art Kadenz der Altflöte wird die „Viaticum-Musik“ des Anfangs wiederholt, aber in einzelnen Stücken, welche ihrerseits wiederum Wiederholungen einzelner Chorpassagen auslösen, die diesmal vom Tonband kommen. Diese Tonband-Einschübe sind aus dem transponierten, verfremdeten, zum Teil rückwärts ablaufenden, mit sich selbst und mit zusätzlichen Sprechstimmen überlagerten Material des Chores zusammengesetzt. Die poetische Idee ist die Gestaltung eines filmartigen, komprimierten Rückblicks auf das Leben, wie er sich – wie oft beschrieben wohl in den letzten Sekunden eines Menschenlebens ereignet.
Die fünf Einschübe beziehen sich auf fünf wichtige Stellen des Gedichts, und zwar in rückwärts laufender Reihenfolge: der erste auf den letzten live gesungenen Satz, („after the viaticum“); danach „shadow of its own shadows“, „the pain of living“, „pleasure in the wind“; als letzte Einspielung ertönt der Anfang des Chorteils „issues from the hand of god“. Dann setzt der kurze Schlussteil ein, in dem der live singende Chor unmittelbar mit seiner Reflexion, dem Tonband-Echo, rückgekoppelt wird. Die Solo-Flöte ist jetzt, verjüngt, zur Piccoloflöte geworden, zur Animula, welche im abschließenden Wort „birth“ als neuer Lebenskeim entsteht.
Ich habe die kurze Komposition im Sommer 1988 in einem Zuge niedergeschrieben und legte 1996 eine zweite Fassung vor, die 1.) zu dem bisherigen Instrumentarium 8 Solostreicher hinzufügt, welche die Textur des Ganzen wesentlich komplexer machen, und die 2.) den Tonbandteil sowie die Passagen von Alt- und Piccoloflöte völlig neu gestaltet.
(Hans Zender)