Hans Zender (1936–2019) 4 Enso (LO-SHU VII)
für 2 Instrumentengruppen [Ens] 1997 Dauer: 14'
2Ob – 2Hn.2Trp.2Pos – Schl(4) – Akk – Klav – 2Vl.2Va.2Vc
UA: Witten (Tage für neue Kammermusik), 27. April 1997
Ein karges, ein schweigsames Stück wollte ich schreiben - mich durch reduzierte Klanglichkeit von der überbordenden Harmonik meines letzten Stückes, des über zweistündigen Shir Hashirim, erholen. Konzentrative Zeiterfahrung statt zerstreuende Informationsfülle ist das Ziel aller meiner Lo-Shu-Stücke. Enso ist das japanische Wort für Kreis und bezeichnet in der Tradition der Zen-Kalligraphie eines der am höchsten geschätzten Bildthemen. Enso ist das Symbol der Leere - damit gleichzeitig ,,leeres Symbol" und so Symbol für alle Zeichen im Zen, einschließlich der Worte. ,,Wer den Geist erkennen will, wird nicht das Geringste zu fassen bekommen", heißt eines der bekanntesten Zen-Worte. Enso kann dann auch für alles und jedes stehen: ,,Ist das ein Kuchen?", fragt Nantembo, ,,ein Kloß? Ein Eimerrand?"
Die vier Stücke meines Zyklus sind in einem sehr einfachen Sinne ,,ensohaft": sie laufen in sich zurück. Die zweite der beiden Instrumentalgruppen, welche in einem Nebenraum postiert ist, spielt Ton für Ton das Gleiche wie die Gruppe auf dem Podium, aber rückwärts: der Hörer erlebt das Ende des Stückes gleichzeitig mit seinem Anfang, die Mitte als koinzidierende Berührung der beiden Ebenen und die einzelnen Stationen der zeitlichen Entfaltung nach der Mitte in umgekehrter - also die Stringenz der Entwicklung aufhebender - Folge. Es entspricht einem musikalischen Denken, das so weit wie möglich von jeder Dialektik entfernt ist, aber das Gegenteil von Statik erzeugt - denn musikalische Palindrome sind am weitesten von der Symmetriewirkung von Wiederholungen entfernt.
Zwischen den beiden Spielstätten der Gruppen muss sich eine Tür befinden, welche - in der Partitur detailliert angegeben - durch verschiedene Grade der Öffnung die Präsenz der zweiten, in gegenläufiger Zeitrichtung spielenden Gruppe differenziert. So wird eine mechanische Wirkung der Form verhindert; diesem Ziel dient auch die Verschiebung der zweiten Gruppe um ein kleines Intervall in Tonhöhe und Zeit gegenüber der ersten Gruppe; dieses Intervall ist für jeden Satz unterschiedlich definiert.
(Hans Zender)
CD:
MusikFabrik, Ltg. Hans Zender
CD WD 97 (Wittener Tage für neue Kammermusik 1997)