Mathias Spahlinger (*1944) Passage / paysage
[Orch] 1988/90 Dauer: 45'
4(Picc. A-Fl).4(Eh).4(B-Klar).4(Kfg) – 4.4.4.0. – Schl(6) – Hfe(2)Git – Klav(2)Cel – Str: 16.14.11.9.8.
Uraufführung: Donaueschingen, 21. Oktober 1990
selbstredend
im krieg sind alle väter soldat gerade vor sonnenuntergang arbeitete ich mich mühsam durch das immergrüne gestrüpp nach der hütte meines freundes hin den ich schon seit etlichen wochen nicht besucht hatte ich wohnte damals in charleston das neun meilen von der insel entfernt liegt und die gelegenheiten zur hin und rückfahrt standen weit hinter den heutigen zurück als ich die hütte erreicht hatte klopfte ich an wie es meine gewohnheit war und als niemand antwortete suchte ich den schlüssel dort wo ich ihn versteckt wußte schloß die tür auf und trat ein im herd brannte ein helles feuer das war eine überraschung doch kam es mir keineswegs unerwünscht herrnreitter jeder einen platz suchen gilberte komm auf der stelle her was machst du denn da rief die energisch befehlende stimme einer dame in weiß ahi vista troppo dolce e troppo amara verraten und verkauft wer ist elvira nicht anders dan ein tag stern morgenröth seufz nebel klag staub daw luft schnee blum regenbogen zweig schaur eiß glaß plitz wasserfall strahl gelächter stim widerhall zeit traum flug schat vnd rauch verzogen verzettelt und verbrieft ich sah des krieges ruhm als wärs des todes säbelkorb durchklirrt von schnee am straßenrand lag eines pferds gerippte der tod der tod von dem ich hier spreche ist nicht der der deinem sturz folgen wird sondern jener der deinem auftritt auf dem seil vorangeht du stirbst bevor du emporsteigst der der da tanzt ist tot zu jeglicher schönheit entschlossen jeglicher fähig mir aber schien es eine art von beruf zu sein eine seltene und überaus schwierige aufgabe der man sein ganzes leben widmen mußte ich habe eine rotzfahne ziffel schreibt seine memoiren doch schweig ich noch von dem was ärger als der tod wo das tao aufhört fängt die liebe an ich kann dein gsicht gar nicht sehn a was gsicht angeschaut mit augen ist dem tode schon anheim gegeben besser man bleibt unbeweibt verzeih mir sie waren herrlich so süß und so kalt ihre augen gaben kein zeichen der liebe des abschieds oder des erkennens gesicht gesicht gesicht schmelzprozeß schmelzprozeß schmelzprozeß dezimalsystem dezimalsystem dezimalsystem undsoweiter undsoweiter undsoweiter auf dem erdboden wirst du stolpern ich verlasse dich jetzt du mußt alleine weitergehen ich hatte entschieden noch manches zu lernen ehe ich ein mann wurde als ich marthes ersten brief öffnete fragte ich mich wie sie so etwas nur fertigbrächte einen liebesbrief zu schreiben mit der flachen hand schlug er auf den tisch und rief wenn dieses schuljahr zuende ist dann ist es schluß mit den träumereien dann wirst du dich endlich der realität des daseins widmen die realität des daseins im mund meines vaters wurde diese realität zum begriff alles sterilen und versteinerten ein jahrzehnt hatte ich bereits in dieser realität vertan im bereich der schule wo während unendlicher stunden meine sinne abgestumpft worden waren die drohung hinaus ins leben treten zu müssen war nur eine fortsetzung der langen wanderung durch klassenräume und hallende korridore dort wurden wir ja vorbereitet zu tüchtigung und verantwortung wie es hieß von lehrern deren geist erloschen war mehr stahlschienen mehr fahrräder mehr drahtspulen mehr schiffspanzerplatten mehr wärmepfannen mehr stacheldraht mehr nadeln mehr blitzableiter mehr kugellager mehr dollarscheine daraus geht pseudohomophonie hervor je eine einzige eigenschaft wird quantitativ verändert entweder bis zum qualitativen sprung oder bis die abhängigen variablen zu etwas anderem geworden in den vordergrund getreten sind versichert und vertan als ich in kristiania umherging und hungerte sie sind frei um so besser ich liebe sie nämlich die freiheit und jeder erstklassige amerikaner der gewillt ist stückarbeit zu leisten nicht zu trinken nicht zu randalieren nicht nachzudenken nicht kopfhängerisch an seiner drehbank zu lungern wird reich verworfen und verwirkt wo die liebe aufhört fängt die gerechtigkeit an ich fühlte wie mir der schweiß in den handflächen ausbrach ich fühlte schwäche im magen und in den kniekehlen und einen kitzel in den fußsohlen und ich wußte daß dies alles dazugehörte ich verstand daß die furcht der eigentliche anlaß zu dieser leistung war daß man mit der anspannung des kletterns die furcht überwinden wollte wo die gerechtigkeit aufhört fängt die gewalt an ach wie alltäglich ist doch das leben verbucht verhängt verstrickt aber mich drängte im rücken ein vor sonne bebender strand ich machte ein paar schritte auf die quelle zu der araber rührte sich nicht der versuch aus einem traum zu erwachen was heißt hier ordnung strikte regelhaftigkeit in einer der möglichen hinsichten ist unordnung in allen anderen 1212121122112212211221121121221222121111112222 verraten und verkauft ich hab doch ausdrücklich gsagt einer die erste und der andere die zweite das ist ja recht un da hab den einen gmacht den einen hab ich gemacht sie hätten den anderen machen solln der augenblick des überlebens ist der augenblick der macht im überleben ist jeder des andern feind an diesem elementaren triumph gemessen ist aller schmerz gering intermezzo nummer eins vorführung des künstlers die begabten zuschauer denn heut am Donnerstag da ich dies sage tun mir meine knochen weh innewerden der ohnmacht wissen daß man nichts ist wie dieses unbedeutende idyllische ich bei vielen menschen ist es bereits eine unverschämtheit wenn sie ich sagen wie ich mich wie ich verstehe wie verstehe ich mich verstehe mich selbstredend wie mich selbst dies romantisch veranlagte menschchen sich gestern wieder gütlich tat an weinen nippte und ich mir lenin vergegenwärtigte von dem so viel die rede gewesen ist so drängt sich mir die frage auf war er für naturfreuden empfänglich monolog 21 juni ich bin vitus bering was sich von selbst versteht o es versteht sich alles von selbst ist nicht begriffen tot ist césar vallejo eingeschlagen habt ihr auf ihn er hat euch nichts getan mit einem stock gabt ihr ihm saures saures opening for smart youth mit einem tau aus einem zweiten geht ein drittes hervor das dem ersten in fast nichts mehr gleicht mithin kein erstes mehr dies auch in dem sinn die idee der allmählichen entwickelnden variation aller merkmale in alle richtungen und in allen größenordnungen zugleich (absolute kontinuität) macht den begriff der eigenschaft gegenstandslos sie ist nur diskontinuierlich im bruch als widerspruch darstellbar rede mhd rede ahd redia radia rechenschaft vernunft verstand rede und antwort gespräch erzählung sprache du quasselst du quasselst das ist alles was du kannst was schaffst du eigentlich richtet sich auf ich versuche etwas ordnung zu schaffen laß das läßt die dinge die er aufgehoben hat fallen warum auch nicht da oder woanders ordnung die sich nach ihrer eigenen gesetzmäßigkeit selbst aufhebt der cellokasten springt auf und im weinroten samtfutter ruht ein fabrikneues maschinengewehr wenn in unserer zeit etwas helfen soll so ist es gewalt warum nur warum weil warum weil ich es sei denn rücksichtlich seiner nun will ich mich sie sollen nämlich das will ich mir nun muß er doch das war nun nämlich fehlt uns nun darum wo das tao aufhört fängt die gewalt an contradictio est regula veri non contradictio falsi singen wollt ich leichten gesang doch nimmer gelingt mirs ein gespräch über bäume aber wer die wahrheit sagt wird gehenkt der fremde der meinen kleinen führer liest blickt vom buch auf und sagt sich hier muß es sein es war dieselbe sonne wie an dem tag an dem ich mama beerdigte und wie damals tat mir besonders die stirn weh und alle adern pochten gleichzeitig unter der haut ehre deinen vorgesetzten durch die schanz und stadt rinnt allzeit frisches blut napalm und pudding friede den hütten krieg den palästen wenn du den ganzen tag liest bist du mit neunzehn ein nervöses wrack für horst die denkende vernunft aber spitzt den abgestumpften unterschied des verschiedenen zum wesentlichen unterschiede zum gegensatze zu die theorie wird zur materiellen gewalt sobald sie die massen ergreift penser penser c’est perdre le fils wenn du nach frankfurt kommst so denk an mich willst du als in der bleiernen zeit jedem verbrechen sein gesetz jedem verbrecher seine strafe willst du willst du wie ich komm ins offene freund die momente der bourgeoisie als ruinen erkennen noch ehe sie zerfallen sind ganz wahr das ergötzliche sei alle verhältnisse umzuwerfen in denen der mensch ein erniedrigtes ein geknechtetes ein verlassenes ein verächtliches wesen ist das wort freiheit nur mit tränen der empörung ausgesprochen frieden mit der satzung die meinung und empfindung regelt nie nie einzugehen bild der landschaft das übergehen welches das wesentliche ist und den widerspruch enthält beim ausstieg aus dieser darstellungsweise steht die klangfarbe als der einzige klassische parameter im vordergrund von dem eine skalierung nur mulitdimensional möglich ist alle großen ideen scheitern an den leuten vor und oder zurück entlangschreiten in kurzen kürzer oder länger werdenden zirkeln vor sich kontinuierlich verändernden fenstern 1234 2‘ 3‘ 4‘ 3‘‘ 4‘‘ 5 6 4‘‘‘ 5‘ 6‘ 7 etc die reihenfolge erscheint willkürlich nur das erste auftreten macht spätere vertauschung kenntlich einstieg aber nicht am anfang in diese darstellungsweise durch kürzung der zyklen auf 2 bis 3 einheiten d h quantitative unterschreitung von reihenfolge haben sie schon gesehen in was für figuren die schwämme auf diesem boden wachsen wer das lesen könnt zum beispiel gärten und baum nicht die wirtschaftliche entstehung der kultur sondern der ausdruck der wirtschaft in der kultur von der reproduzierbarkeit zur synthetisierbarkeit und vom bild das ich dir von meiner sicht gebe das du uns von unseren selbstverständlichen abbildern machst zur simulation hastet die allmachtsphantasie fort der objektlosigkeit die aufhebung des gegenübers von ich und welt gleichzeitigkeit von wunsch und erfüllung vorschwebt und die unsigniertes subjektlosigkeit für objektivität hält es ist die frage sagte alice ob man die bedeutungen der worte einfach ändern kann die frage ist sagte humpty dumpty wer das sagen hat das ist alles erst zum attentat schreiten und dann zum schafott bedeutet jedoch sein leben zweimal hingeben wir zahlen mehr als wir schuldig sind wir haben nicht die revolution sondern die revolution hat uns gemacht die äußerliche reflexion reflektiert nicht ihr eigenes übergehen sondern blickt gebannt auf die gleichheit und ungleichheit als verschiedene nah sind wir herr nahe und greifbar was hier an haltung ausdruck sinnesart am freund sich seit der zeit geändert der mensch das höchste wesen für den menschen saubande dreckade bete herrwir sind nah wer zufällig entrann ist es nicht einfach daß zu einer zeit wo der gang der geschichte rascher ist auch mehr menschen außer atem kommen klagt man den mann an seine mutter beerdigt oder einen mann umgebracht zu haben das publikum lachte es wäre nutzlos es ihm zu verkünden er erfährt es ja auf seinem leib du inspizierst ja so läuft es du inspizierst zellen du inspizierst unsere vernichtungszellen aber deswegen sperrt man euch doch ein wieso deswegen das ist doch die freiheit man nimmt euch die freiheit dieser gedanke war mir noch garnicht gekommen ich stimmte ihm zu das ist richtig sonst wäre es ja keine strafe nichts mächtiges ists zum leben aber gehört es was wir wollen der henker ist der zufriedenste der stachelloseste der menschen selbst ein gefängniswärter hat es schwerer als ein henker ich füge hinzu daß du das wagnis eines psychischen endgültigen todes auf dich nehmen mußt die spielregeln des zirkus verlangen es die gefahr erfüllt ihren zweck sie veranlaßt deine muskeln eine vollendete genauigkeit zu erreichen der kleinste irrtum würde deinen sturz unheilbare gebrechen oder den tod herbeiführen und diese genauigkeit ist die schönheit deines tanzes zu beginn ein zweimaliger akkord im durchgang in kontinuierlicher veränderung begriffen seine merkmale sind in unterschiedlichem grad noch nicht oder nicht mehr seine merkmale teile eines ganzen oder eines oder mehrerer anderer ganzer oder relativ selbständige ganze das gebundne und nur in seinem zusammenhange mit anderm wirkliche das fallbeil so sagte dr guillotin viele jahre später tut dem delinquenten nicht weh es verschafft nur das gefühl einer leichten erfrischung am hals wir haben den weg der drei freunde etwas aus den augen verloren nachdem sie den park durch die pforte an der rue secrétan betreten hatten haben sie den direkten weg zur pforte an der rue fessart und das horn im südwesten rechts liegenlassen und den höchsten hügel erst umgangen dann erstiegen quantitative veränderung und qualitativer sprung objektives subjekt/objekt übergang von einer objektivierbareren qualität zur anderen und subjektives subjekt/objekt übergang von einer wahrnehmungsweise zur anderen holde landschaft zu viel schönheit ist mir lästig die apriorität des individuellen über das ganze schönheit die gequollen vom quell ursprünglichen bilds wie heißt du matthieu so heiße ich zweimal der gleiche name ich verstehe nicht dann nennen sie mich bitte anders anders wie denn mit welchem namen anders ist ein name sagte der junge anders ganz recht anders andreas ich bin schwerfälliger im begreifen als du anders du heißt anders du spielst mit mir aber du verstehst dich darauf endloskontinuen der und kaiser sein versank poet in wußte tiefe nichts trauer besseres als das alphabet zur nationalhymne zu ordnen dieses mußt du garnicht fragen
(Mathias Spahlinger, 1990)
„passage/paysage – eine raffinierte rhythmische und klangliche Studie. Hier werden die Längen der einzelnen ,Passagen‘ nicht zur Last, sondern zu Lust. Und dann, eine einzige Pizzikato-Orgie mit angezogener Handbremse, so dass es zirpt und klappert wie in einer alten Spieldose. Es geht ganz elementar um Zeit-Organisation und um Sinnlichkeit. Das Komponieren ist hier kein Selbstzweck.“
(DIE ZEIT)
Bibliografie:
Hechtle, Markus: 198 Fenster zu einer imaginierten Welt. Versuch über die elementare Arbeit von Mathias Spahlinger in seinem Orchesterstück „passage/paysage“, Saarbrücken: Pfau 2005.
Nonnenmann, Rainer: Musik aus und alle Fragen offen. Auskomponierte Perspektivwechsel des Hörens am Beispiel von Werken Mathias Spahlingers, in: MusikTexte 140, Februar 2014, S. 48-53.
Nyffeler, Max: Aus den Fesseln befreit. Zum Orchesterstück „passage/paysage“ von Mathias Spahlinger / Liberated from Shackles. On Mathias Spahlinger’s „passage/paysage“ for Orchestra, in: Ensemble Modern Magazin Nr. 48 (2018/2), S. 16-21.
Oehlschlägel, Reinhard: alles aus allem entwickeln. mathias spahlinger im gepräch über „passage/paysage für großes orchester“, in: MusikTexte Heft 39 (1991), S. 23-32.
Poppe, Enno: „passage/paysage“. Der „Sacre du Printemps“ meiner Generation [Gespräch mit Martina Seeber], in: musica viva (Bayerischer Rundfunk). Saisonauftakt 2018/19, S. 2f.
Schick, Tobias Eduard: Weltbezüge in der Musik Mathias Spahlingers (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Band 80), Stuttgart; Franz Steiner 2018, besonders S. 202-205.
Seeber, Martina: Vorecho. Zwei Jahre vor dem Beethoven-Jubiläum 2020: „passage/paysage“ von Mathias Spahlinger, in: Journal Musikfest Berlin 2018, S. 24-26.
Spahlinger, Mathias: Was ist das, die Neue Musik? Martina Seeber im Gespräch [mit dem Komponisten], in: musica viva (Bayerischer Rundfunk). Saisonauftakt 2018/19, S. 5 – unter dem Titel „Das Thema ist des Stückes ist Entwicklung“ abgedruckt im Programmheft der Berliner Festspiele zum Konzert am 3. September 2018, S. 22f.