Klaus Ospald (*1956) Schöne Welt schöne Welt
Eine Kammersinfonie [3Singst,Spr,KamEns] 1991/2000 Dauer: 25' Text: Konrad Bayer
Soli: 3Frauenstimmen(3Trg) Spr – Fl(Picc.AFl).2Ob(Eh).2Klar.2Klar[A].B-Klar.Fg(Kfg) – 2Trp.Pos.Tuba – Schl(3) – Hfe.Git(Trg) – Klav (2Trg).Cel(Sampler) – 2Vl.2Va.2Vc.2Kb – zusätzlich 5 Flexatone. 10 Ratschen. 2 Peitschen
UA: Donaueschingen, 9. Oktober 1991
UA Neufassung: Berlin (Berliner Festival Neuer Musik) 23. Juni 2000
Über kompositorische Prozesse mit Worten nachzudenken ist (laut:) stets mit Schwierigkeiten verbunden (leise:) da Töne (sprich: TÖNE) nicht einfach in Worte umgewandelt werden können, um etwas zu erklären, was sie, die Musik, nicht kann. So geht es nicht um Erklärungen, sondern um eine Form des Nachdenkens in der Musik, wobei das In-Worten-Nachdenken eine andere Form benötigt, die längst nicht so befriedigend ist.
Denkloch
Es bedarf weiterhin gewisser Fähigkeiten mit Worten umzugehen, ohne daß man - als Leser hervorragender Autoren der Wortwelt - das kalte Grausen kriegt: was 'ne Sprache ..:
Wohl oder übel setzt man sich der Diktatur der Erklärung aus: eine Programmheftkurzanalyse, ein Verfahren, in dem der Komponist hoch einmal, quasi retrospektiv, nachdenkt, über sich (oh je) oder vielleicht sein Werk, seine (!-?) Gestaltungsverfahren; die er benennen muß ... oftmals ein Berechtigungsverfahren an die Adresse der Leute, die keine Noten lesen können (können Sie Noten lesen?). So las ich bei Webern in einem Brief über Richard Strauss die Frage, warum dieser noch komponieren würde, er könnte doch alles mit Worten erklären.
Schnell lesen, quasi Prestissimo:
während des komponierens bewege ich mich vor allem außerhalb der zeit der offiziell real existierenden zeit dabei ist ein hauptagens die gestaltung eines zeitablaufs deren anfang und ende ich spontan setze dazwischen auch klar in dieser zeit musikalischen zeit bewege ich mich in allen richtungen und kreuze sie mit den ereignissen die sich in mir angelagert haben nur welche das sind ist nicht immer auslotbar und in dem moment der setzung auch nicht wichtig es gibt eine ganz bestimmte konstellation von persönlichen ereignissen die mit einer ganz bestimmten musikalischen ideenwett sich verbinden ein hoffnungslos altmodischer komponist ich weiß wer merkt's weiter töne als ausdruck einer ideenwelt einer imaginationswelt aber wenn der kopf was richtiges zum nachdenken hat und das ist das schöne wenn man den bleistift in die hand nimmt beschäftigen einen die töne der rhythmus die zeit wie gehabt und nicht deren anlaß also wenn man so richtig den kopf voll hat dann steht mann außerhalb der zeit die einen permanent zu beherrschen droht in einer zeit wo die zeit zu einem tagesablauf degeneriert war es jemals anders ist das komponieren ein wunderbar schwebender zustand ein versunkenes hellwachsein jedoch jedoch jedoch die Intensität des nachdenkens wird so zu einer pfeilspitze gegen die außenwett jedenfalls ist das bei mir so und bei ihnen
(laut:) KONRAD BAYER (leise:) vor allem geht es nicht um die erklärung (laut:) NEIN (wieder leise:) sondern um eine existentielle da haben wir das Stichwort grundhaltung meiner Person gegenüber dem allgemein soso menschlichen (laut:) Hick Hack DEM MAN SICH AUSGESETZT FÜHLT (leise:) diese unendliche kraft die man benötigt um dieses indiewelthinausgeworfensein zu verkraften sobald man anfängt nachzudenken wird's halt schwierig die verdrängungsmechanismen funktionieren nicht mehr so gut und so kommt es daß es zeIten gibt wo alles sprich alles ein großer, warmer stinkender scheißhaufen ist sämtliche kulturzentren mit inbegriffen aber gewiß gewiß ein guter Chianti und es geht wieder eine weile dieses seid umschlungen millionen was für eine grausige vorstellung die müßte ich mir erst mal sehr genau ansehen andrerseits sieht man aber daß diese doch recht einfach gehaltene Utopie die IX. ist schon was für ausgebildete ohren nicht wahr nicht unbedingt ein ebenso einfach gehaltenes musikalisches gebilde zur folge haben muß.
rhythmus ist für mich organisierter zeitlauf die zeit vergeht wie im fluge eine schöne vorstellung auch wenn ich nicht gerne fliege der permanent im Umbruch begriffen ist und ab einem gewissen moment der reflexion da haben wir's wieder sich neu belebt und weiterdrängt wobei das weiterdrängen nicht mit der vorstellung verbunden ist ein ziel zu erreichen sondern es ist mehr ein ständiges sich neu entzünden es könnte jederzeit aufhören nee stimmt nicht nicht so egal weiter um hier nicht beifall von der falschen seite zu bekommen wo immer diese sein mag spontaneität bedeutet nicht daß man mit dem Bauch schreibt derweil irgendeine gehirnmatschmasse ruht Spontaneität im denken das geht glaube ich nur wenn man einfach viel nachdenkt und solange die Spontaneität in den bleistift fließt ein dafür etwas unglücklicher gegenstand solange sind ganz bestimmte diskurse überflüssig - und Spontaneität im denken kann das resultat eines langen denkprozesses sein und denken das weiß man ja ist ein sehr sinnlicher akt und bedeutet so nicht den erstbesten Bedanken, Ideen ja ja verwenden zu müssen also keine Idealisierung von Ursprünglichkeit in einem gebildeten Umfeld bitte all das was aus mir rauskommt Soll auch erwähnenswert sein nein diese arroganz muß man sich mal vor ohren halten nein nein (laut:) NEIN (leise:) lange nachdenken wobei lange natürlich relativ ist und einfach von der denkgeschwindigkeit abhängt und auch keine garantie ist daß das stück gelingt ich weiß und wenn man polyphon hören kann zumindest sollte man in der tage sein zwei gespräche verschiedenen Inhaltes verfolgen zu können dann kann man auch polyphon denken und das ist doch ein ganz besonderes vergnügen.
FINE
(Klaus Ospald)
Bibliografie:
Groote, Inga Mai: „warum ist diese welt so schlecht“? Der Epilog zu Klaus Ospalds Zyklus „schöne welt schöne welt“, in: Klaus Ospald (= Musik-Konzepte Neue Folge, Heft 183), hrsg. von Ulrich Tadday, München: edition text + kritik 2019, S. 70-78