Klaus Ospald (*1956) Und die Erd ist kalt
[KamEns] 1993/2003 Dauer: 22'
Fl.2Ob(Eh).2Klar(B-Klar).Fg(Kfg) – Hn – Schl(2) – Hfe – 2Klav – Kb
Uraufführung: Graz, 10. Oktober 1993
Einige Gedanken zum Konzept (Musik - Bühne / Bühne - Musik)
- Die Idee, daß die Gesetzmäßigkeit des Hörens und die des Sehens mit ihren Mitteln ähnliche Inhalte darstellen, die sie jedoch aufgrund ihrer andersartigen Beschaffenheit, Erscheinungsform unterschiedlich zur Anschauung bringen.
- Die Beziehung des Visuellen zum Auditiven beruht nicht (basierend auf gemeinsamen Ausgangsideen) auf Kausalitätsprinzipien bzw. logischen Verknüpfungen. Gerade weil die Objekte naturalistisch geformt sind, fehlt ihnen die Tradition der semantischen Zuordnung, oder anders: die konkrete Bedeutung, eine gewünschte Eindeutigkeit. So können sich diese Objekte zu Hieroglyphen verwandeln, die dann durch den Choreographen und Musiker bzw. Zuhörenden, Zuschauenden mit einem imaginären Sinn behaftet werden, um somit eine Beziehung knüpfen zu können. So nehmen die Objekte in ihrem Wirken eine scheinbare Semantik, besser: eine offene Semantik an.
(E. Kirchner: „Die Hieroglyphe, diese unnaturalistische Formung des inneren Bildes der sichtbaren Welt.“)
- Diese Objekte weisen auf sich selbst. Sie sind das, was sie sind. Dadurch verschließen sie sich. Gleichzeitig umgibt sie ein Geheimnis und damit die Verlockung, sich ihnen zu nähern, ihnen näher zu kommen. Man spürt, daß sie sich durch ihre Abstraktion entziehen, gleichzeitig aber durch ihre poetisch-geometrische Anordnung, ihr Zusammenwirken in ihrer Abgeschlossenheit und Ausschließlichkeit lebendige Gesetzmäßigkeiten vermitteln, die so zu einer Inspirationsquelle und mit der Berührung der Musik wohl zu etwas Anderem werden, aber inhaltliche Analogien im poetischen Vorstellungsraum bilden können.
- „Die Bühne“ ist ohne Musik entstanden - so ist die Musik ohne Bühne entstanden. Ich weiß von der Bühne, doch spielt sie während des Komponierens nicht die geringste Rolle. Was sollte sie mir auch sagen?
Etwas Gesehenes kann einen musikalischen Prozeß auslösen, jedoch nicht als allgemein übertragbares Kausalitätsprinzip, und: der Auslösungsprozeß sind Töne in ihren unzähligen Verbindungen, über die man unbewußt sowieso schon lange nachgedacht hat.
Die äußerste Abstraktion der Bühne ist das Endergebnis eines langen Prozesses, in seinen Anfängen nicht unmittelbar nachvollziehbar und auch nicht wichtig: es ist zu etwas Anderem, Neuem geworden. Andererseits ist es nur eine scheinbare Loslösung von seiner Entstehungsgeschichte: sie - die Objekte - verbergen eine Geschichte, ihre Geschichte - das ist das Geheimnis.
- Die Kraft der Abstraktion ist die, daß sie einerseits einen konkreten Inhalt aufgelöst und sich aus der konkreten Bild- und Außenwelt entzogen hat, andererseits als ein Zeichen, aufgrund ihrer Archaik, ebendieser eine neue Qualität wieder zuführt:
- Klarheit der Formen
- Erfassen ihrer Abweichungen untereinander, somit Begreifen ihrer Formung (die Formung wird zur Anschauung gebracht)
- Jede individuelle Form wirkt in ihrer Geschichtlichkeit, jedes Quadrat, jedes Dreieck besitzt seinen eigenen Gehalt: es ist sowohl Dreieck als pure Gestalt, als auch Zeichen in seiner Beziehung zum Menschen und Abbild in dem Zusammenwirken untereinander, in ihrer Gesetzmäßigkeit.
(Klaus Ospald)
Bibliografie:
Ospald, Klaus: Im Gespräch. Musikalische Vorstellung und Notation. Zum Schreib- und Schaffensprozess bei Klaus Ospald, in: Klaus Ospald (= Musik-Konzepte Neue Folge, Heft 183), hrsg. von Ulrich Tadday, München: edition text + kritik 2019, S. 79-95