Isabel Mundry (*1963) Flugsand
[Orch] 1998/2002 Dauer: 13'
4(2Picc.B-Fl).4.3.Kb-Klar.3.Kfg – 6.5.2.1. – Str 25.0.10.8.6
UA: München (musica viva), 18. Dezember 1998
UA der Neufassung: Wien, Konzerthaus, 22. November 2002
Flugsand ist eine Komposition, in der Klänge, ihre räumlichen Orte und ihre zeitlichen Dimensionen permanent in Bewegung sind, sich umschichten, verzweigen, verändern oder auflösen.
Ein wesentlicher Eindruck ging von der Betrachtung des fotografischen Zyklus’ "Die Vögel stehen in der Luft und schreien" des Künstlers Thomas Wrede aus. Feine Staubspuren von zufällig gegen Glasscheiben geflogenen Vögeln werden durch ein minuziöses Verfahren sichtbar gemacht und vielfach vergrößert. So entstehen eindrückliche Bilder jener Momente, in denen das Fliegen sowie der abrupte Aufprall zusammenfallen und jeweils Spuren hinterlassen. In den Zentren dieser Fotografien von Staub ist Körperlichkeit der Vögel noch erkennbar, an den Rändern jedoch entstehen feine Zeichnungen, die das zeitlich-räumliche Umfeld dieser Augenblicke erahnen lassen. Nicht zuletzt erzählen die Bilder davon, wie einzigartig und individuell ein jeder Augenblick ist und wie seine zeitliche Dimension mit seinen Inhalten untrennbar verbunden ist - ein Gedanke, der sich direkt ins Musikalische verlängern lässt.
Die klangliche, räumliche und zeitliche Auffächerung von Augenblicken und die Aufmerksamkeit für ihr Innenleben, dies ist ein Gedanke, der auch meine Komposition wie ein Leitfaden durchzieht. Jeder Klang zieht Bahnen. Er bewegt sich im Raum, resoniert, entfaltet sich oder löst sich auf. Zumeist gibt es einen Moment der Verdichtung, der jedoch selbst vielschichtig ist, und es gibt ein zeitlich-klangliches Umfeld dieses Momentes, quasi ein Ein- und Ausschwingen. Im Großen wie im Kleinen verläuft das Stück in Bögen, die immer wieder umkippen in kulminierende Momente. Diese Momente sind jedoch keine Frage von Sekunden oder Minuten. Vielmehr sind es jene Situationen, in denen sich verschiedene musikalische Bahnen durchkreuzen, in ihrer Konstellation etwas Unberechenbares ergeben und dem Verlauf der Musik eine andere Richtung weisen.
Höre ich mit geschlossenen Augen Klänge, so imaginiere ich Räume. Sehe ich Räume, so entstehen Klänge. Beide Formen der Wahrnehmung und insbesondere ihre Wechselwirkung haben mich beim Schreiben dieser Musik interessiert.
(Isabel Mundry)
CD:
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Markus Stenz
CD col legno WWE 1CD 20082
Bibliographie:
Szendy, Peter: Sandbücher. Für Isabel Mundry, in: Composers-in-residence. Lucerne Festival, Sommer 2003, Frankfurt: Stroemfeld 2003, S. 35-46.
Ehrler, Hanno: „Ferne Nähe“. Zu einigen Werken von Isabel Mundry, in: MusikTexte Heft 101, Mai 2004, S. 68-76.