Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Sonate B-dur
Ergänzung der Fragmente KV 372, Anh. 46 (374g), Anh. 68 und Einfügung der Polonaise aus KV 439b bearbeitet von Karl Marguerre [Va,Klav]
32 Seiten | 23 x 30,5 cm | 118 g | ISMN: 979-0-004-17443-2 | Broschur
Da uns die Meister der klassischen Zeit keine Bratschensonaten hinterlassen haben, werden die Bratschisten eine Mozart-„Sonate“ begriißen, die beiden Spielern Aufgaben stellt, geistig und technisch vergleichbar denen der Geigensonaten.
Den Eingangssatz hatte Mozart 1781 für Geige und Klavier konzipiert: auf einer Wiener Soiree des Erzbischofs sollte er mit dem Geiger Brunetti eine neue Sonate spielen (Brief an den Vater vom 8. 4.); dafür begann er eine „Sonata I“, wie die programmatische Überschrift lautet (KV 372).Im letzten Augenblick aber entschloß er sich zu einer „konzerthafteren“ Sonate (sehr wahrscheinlich Es-dur, KV 380 [siehe Mozart-Jahrbuch 1968/70, S. 327]) und ließ den bis zum Ende der Exposition gediehenen B-dur-Satz liegen. Er griff ihn auch später nicht wieder auf, weil er für die Serie „op. II" schon eine B-dur-Sonate hatte, die jener überdies im Charakter ähnlich war (KV 378, recte 317d). In den Gebrauchsausgaben steht der Satz freilich nicht, weil er als Einzelstück keine rechte Verwendung hat und weil Stadlers Ergänzung (in der alten wie in der neuen Mozart-Ausgabe enthalten) wenig glücklich, vor allem viel zu lang ist. Den Satz durch eine kürzere Durchführung zu ergänzen lag nahe. Die tiefe Lage der Geige erlaubte die Adaptation für die Bratsche ohne Zwang. Da die Reprise nach Mozarts Art der Exposition genau folgt, sind – der Ausdehnung nach – vier Fünftel des Satzes „original“. Der zweite Satz ist gewonnen aus dem Fragment gebliebenen Andantino für Violoncello und Klavier (KV 374g), übertragen nach Es-dur. Das Original reicht nur bis zum Ende der Exposition (T. 33), wobei außer in T. 1-7, 13-17 nur die Hauptstimmen angegeben sind – die Buchstaben M( ozart) und H( erausgeber) lassen das im einzelnen erkennen.
Es war also auszufüllen, im Mittelteil anzufügen und die Reprise „abzuschreiben“. Den Mittelteil wie im Eingangssatz als Durchführung zu gestalten widerspräche dem Charakter dieses Andantino cantabile; so haben wir Mozart zu Hilfe gerufen und uns eng angelehnt an das Andantino aus der Geigensonate KV 306. Thematisch besteht, wie so oft bei Mozart, keinerlei Beziehung zur Exposition dort, und in Stimmung und Thematik des Cello-Andantes fügen sich die Takte bruchlos ein.
Als Finale greifen wir eine B-dur-Polonaise auf, von der Mozart die ersten 8 Takte für Streichquartett gesetzt, von weiteren
57 Takten die Melodiestimme angegeben hat (KV 589 a [NMA VIIl/20, Abt. 1 Bd. 3]). Aus diesem Entwurf ein komplettes Rondo und damit ein vollwertiges Finale zu gewinnen verlangt lediglich noch ein zweites Couplet („Trio“). Ein Sätzchen, das sich anbietet, ist die Polonaise aus den Bassetthorn-Trios (KV 439 b [NMA VIIl/21]); Tonart in der Fassung der alten Mozart-Ausgabe (2 Klarinetten und Fagott) erwünschterweise Es-dur. Der Tanzsatz ist heimatlos; denn er gehört zu den auf die vier abgeschlossenen Divertimenti folgenden Einzelsätzen, ganz offenbar den Innensätzen zweier geplanter, unvollendet gebliebener Divertimenti V und VI.
Karl Marguerre, Darmstadt, Frühjahr 1978