Siegfried Matthus (1934–2021) Noch einen Löffel Gift, Liebling?
Komische Kriminaloper in 1 Vorspiel und 3 Akten 1971 Text: Peter Hacks
Soli: SSAATTBB – 2.2.2.2. – 2.2.3.1. – Pk.Schl(2) – Hfe – Str
Uraufführung: Berlin, 1972
AD: abendfüllend
Libretto: Peter Hacks nach der Komödie "Risky Marriage” von Saul O’Hara in der Übersetzung von Hans-Joachim Pauli
Ort und Zeit: Villa der Brocklesbys in England, 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Verehrtes Publikum,
ich soll für Sie etwas über meine Oper schreiben, dabei habe ich der Dramaturgie gleich gesagt, daß ich das nicht kann. Wenn ich etwas kann; dann bestenfalls ein paar Noten auf das Papier bringen. Wenn ich etwas nicht kann, dann ist es: darüber schreiben. Ich bin doch kein Schriftsteller. Das sollte besser der Hacks machen. Aber der sagt, er habe das Libretto geschrieben und wisse weiter nichts dazu. Er hat natürlich recht; denn für einen Text brauchen die meisten Leute keine Erklärung. Dafür wollen sie um so ausführlicher die Musik beschrieben haben. Aber ich bleibe dabei: ich kann es nicht. Vielleicht sollte ich Ihnen aber gestehen, daß ich gerne Krimis lese und (auf der Leinwand oder dem Bildschirm) sehe. Das ist auch einer der Gründe, aus dem ich mich schon seit Jahren mit dem Plan einer Kriminaloper beschäftigt habe. Ich wage zu hoffen, daß Sie ähnliche Schwächen für dieses Genre haben. Ich habe lange nach einem geeigneten Stoff gesucht, bis mir Hacks den alten Campbell vorschlug. Wir einigten uns dann schnell darauf, daß wir Ihnen das Sujet nicht als Musikdrama, absurdes, musikalisches oder gar totales Theater anbieten, sondern schlicht eine komische Oper daraus machen wollten. Die großen Meister Mozart, Rossini und Offenbach haben mich bei der Komposition beraten. Johann Strauß (Vater und Sohn) liehen mir einige Melodien zur Bearbeitung, und der Pater Liszt war so freundlich und überließ mir sogar eine seiner berühmtesten Klavierkompositionen. Ergebensten Dank, meine Herren. Sie hören Arien, Duette, Terzette, Quartette und Ensembleszenen. Eine Kurkapelle wird Sie unterhalten und sogar ein Grammophon. Damit Sie sich zwischendurch von der vielen Musik erholen und auch den Gang der Handlung besser verfolgen können, haben wir die musikalischen Nummern durch gesprochene Dialoge voneinander getrennt. Über den Inhalt muß ich Sie also nicht informieren. Allerdings wollen wir Autoren noch darauf hinweisen, daß wir voll und ganz hinter dem stehen, was Miss Dodd in einer Arie über die Erziehung durch die Kunst singt. Wir distanzieren uns hingegen aufs Heftigste von allem, was das Ehepaar Brocklesby im Verlaufe der Oper treibt und bitten Sie sehr, die richtigen Schlüsse für Ihr Verhalten daraus zu ziehen. Aber jetzt sehen und hören Sie selbst,
Ihr Siegfried Matthus
Personen: Inspektor Campbell (Bass) - Oberst John Brocklesby (Tenor) - Lydia Barbent (Sopran) - Honoria Dodd, Leiterin eines Mädchen-heims (Alt) - Lance Fletcher, Erzieher im Mädchenheim (Tenor) - Jennifer (Sopran) und Poll (Alt), Mädchen aus dem Heim - Perkins, Butler (Bariton)
Oberst Brocklesby und Lydia Barbent frönen beide dem Gattenmord. Inspektor Campbell ist außerstande, sie zu überführen. Er verkuppelt sie miteinander, damit sie sich gegenseitig umbringen. Kann er den Fall schon nicht aus den Akten schaffen, sollen wenigstens die Täter aus der Welt. Es gibt eine große Kampfgeschichte, zwei negative Helden, die das ganze Stück auf Tod und Leben miteinander kämpfen, und eine sehr reiche Nebenfabel: Gute Menschen verlieren ein bißchen von ihrer Weltfremdheit, die zu ihrer Güte gehört, und lernen die Welt besser verstehen, ohne aufzuhören, gute Menschen zu sein. (Peter Hacks)
Bibliografie:
Matthus, Siegfried: [Ohne Titel] und Götz Friedrich: Verdachtsmomente, in: Programmheft der Komischen Oper Berlin zur Uraufführung 1972.