Siegfried Matthus (1934–2021) Manhattan Concerto
[Orch] 1993/94 Dauer: 30'
3.3.3.3 – 4.3.3.1. – Pk.Schl(3) – Hfe – Cel – Str
UA: New York, 16. Mai 1994
Im Dezember 1990 wurde an der Manhattan School in New York meine Oper „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ mit großem Erfolg aufgeführt. Für das 75jährige Jubiläum der ersten Musikschule New Yorks im Jahre 1994 erhielt ich daraufhin einen Opernauftrag. Da die Zeit dafür zu kurz war, machte ich den Vorschlag, zu diesem Anlass ein Orchesterwerk zu schreiben.
Bei der Opernaufführung hat mich die hervorragende Schlagzeuggruppe des Orchesters sehr beeindruckt. Diese wollte ich in den Mittelpunkt der Komposition stellen. Vom September 1993 bis Januar 1994 ist ein Orchesterkonzert mit obligatem Schlagzeug entstanden.
Durch relativ häufige Aufführungen meiner Kompositionen in New York bin ich oft dort gewesen und habe die Stadt lieben gelernt. Impressionen von diesen Besuchen sind in der Komposition verarbeitet, so dass der Titel auch eine inhaltliche Begründung hat. Das “Manhattan Concerto“ wurde am 16. Mai 1994 unter der Leitung von Kurt Masur in New York uraufgeführt.
Im Mittelpunkt der Komposition steht eine große Schlagzeugkadenz – ein theatralischer Wettstreit der drei Schlagzeuger. Ich freue mich auf die Interpretation durch meine Freunde vom Gewandhausorchester.
Siegfried Matthus
Siegfried Matthus in einem Brief an Kurt Masur
vom 4. Februar 1994
Das Manhattan Concerto habe ich am 31. Januar beendet und - bevor ich die Komposition total vergesse (was mir unmittelbar nach der Beendigung einer Partitur immer passiert) - will ich Dir noch einige Überlegungen mitteilen, zumal ich auch weiß, daß Du daran interessiert bist.
Ich habe mich bemüht, trotz einiger „Ausbrüche“ ein leichtes und elegantes Stück (in „E“!) zu schreiben. Wichtig war mir, daß die schnellen Passagen (z.B. im zweiten Satz) sehr leicht gespielt werden können und müssen. Das hat dazu geführt, daß ich mich zurückgehalten habe, rhythmisch komplizierte Gebilde zu erfinden, die die Interpreten dann am „flüssigen“ Tempo hindern. Deshalb sieht meine Partitur teilweise auch so erschreckend einfach aus.
Natürlich sind einige Passagen vom Jazz abgeguckt, zumindest aber inspiriert. Nun wissen wir, wie schwierig es ist, ein Symphonieorchester zu solcher Interpretation zu animieren. Im Vorteil dabei sind natürlich die amerikanischen Orchester und bei der Uraufführung selbstverständlich die jungen Interpreten der Manhattan School. Wie weit Du bei der Interpretation dabei gehen willst und kannst, bleibt Deiner Entscheidung überlassen (und ich weiß das Stück dabei in den besten Händen). Anmaßend und katastrophal in der Auswirkung wäre es, wenn ich als traditionsbeladener deutscher Komponist den Amerikanern vormachen wollte, was Jazz ist.
Die kleinen „Kitschecken“ im zweiten Satz (das Vogelgezwitscher im Central Park!) solltest Du schmunzelnd nicht zuviel interpretatorische Aufmerksamkeit schenken.
Nach dem relativ einfachen langsamen Satz kommt dann der theatralische Wettstreit der Schlagzeuger in einer ausführlichen Kadenz. Es darf keine Kabarettszene werden, doch muß schon ein wenig mehr als nur die Noten gespielt werden. Mit schöner ehrgeiziger Naivität treten die ersten beiden Interpreten an und zeigen, was sie mit und an den diversen Bongos, Tomtoms und kleinen Trommeln alles können. Zum „dramatischen“ Konflikt kommt es, als beide - der eine von den hohen Bongos, der andere von den tiefen Tomtoms kommend - in der Mitte zusammentreffen und sich nun im wahrsten Sinne des Wortes „im Wege stehen“. Sie versuchen mit den sich überkreuzenden Schlägen in das Feld des anderen zu kommen - und das muß auch „dargestellt“ werden. Der dritte Schlagzeuger drängt sich dazwischen und trennt die beiden Kampfhähne mit seinen Passagen auf den kleinen Trommeln. Der „Sieger“ ist dann - wie kann es anders sein - der alle „zusammendonnernde“ Pauker.
Und dann der Schluß. Dieses langsame Hinüber(hoch)gleiten in eine musikalische Traumwelt. Da schweigt der Komponist, da schweigt das Orchester, da ist dann nur noch die Imaginationskraft der Dirigenten gefragt. Da Du es geschafft hast, den New Yorkern das Räuspern und Husten abzugewöhnen, wird es Dir ein Leichtes sein, Dein Publikum am Schluß dieses Stückes in eine nicht mehr hörbare wundersame Musik(traum)welt zu entführen.
CDs:
Jeunesses Musicales World Orchestra, Ltg. Günther Herbig
CD RMM 22095
Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken, Ltg. Günther Herbig
CD perc.pro 40012004
Württembergische Philharmonie Reutlingen, Ltg. Siegfried Matthus
CD „Siegfried Matthus – Beloved Dionysos, Genuin, GEN 89144