Siegfried Matthus (1934–2021) Dresdner Sinfonie
[Orch] 1969 Dauer: 18'
3.3.3.3. – 4.3.3.1. – Pk.Schl – Hfe – Klav/Cel – Str
UA: Dresden, 10. Oktober 1969
Die Dresdner Sinfonie ist im Frühjahr 1969 als Auftragswerk der Dresdner Staatskapelle entstanden. Ich habe diesen Auftrag sehr gerne angenommen, einmal, weil es sehr ehrenvoll ist, von diesem traditionsreichen und berühmten Institut einen Werkauftrag zu erhalten, zum anderen hatte ich schon lange den Wunsch, mich mit der Form der Sinfonie auseinanderzusetzen.
Ich habe lange darüber nachgedacht, wie das Thema „Dresden“ (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) musikalisch zu bewältigen ist. Musik ist in einem rationalen Sinn nicht konkret, will man aber andererseits objektive Geschehnisse ausdrücken, muß man dafür spezifisch musikalische Lösungen finden.
Meine Sinfonie besteht aus vier Abschnitten. Ich möchte die Bezeichnung „Sätze“ vermeiden, denn, obwohl diese Abschnitte rein äußerlich die charakteristischen Merkmale der überlieferten sinfonischen Sätze tragen, sind sie doch nur Teile einer, sich über das ganze Stück erstreckenden Sonatenform.
Den ersten Abschnitt, die Exposition, könnte man als eine musikalische Darstellung des klassischen Dresdens bezeichnen. Aus einer Grundstruktur, die hauptsächlich aus lichten Holzbläser - und Streicherlinien besteht, heben sich drei Episoden hervor: eine Solo-Flöte, ein Streichquartett und ein choralähnlicher Blechbläsersatz.
Im zweiten Abschnitt (Durchführung - die Zerstörung Dresdens) ballt sich die musikalische Struktur zu gewaltigen Blöcken zusammen, in denen die wiederauftauchenden Episoden völlig erdrückt werden.
Der dritte Abschnitt kann als eine Überleitung zur Reprise verstanden werden. Hier tauchen die Episoden über einer fahlen und weitmaschigen Struktur (Kontrabässe und tiefe klingende Schlaginstrumente) wieder auf. Visionen der Zerstörung – aber auch Keime des Neuen – bedeutend.
Der letzte Abschnitt (Reprise) trägt den Charakter eines Scherzos, den Optimismus in Gegenwart und Zukunft ausdrückend. Die drei Episoden, jetzt in ihrer Struktur teilweise verändert, tauchen im Zusammenhang mit einer lichten und rhythmisch federnden Grundstruktur wieder auf. Nur kurz vor dem Schluß wird in wenigen Takten noch einmal der zweite Abschnitt zitiert, als immerwährende Mahnung, das Gegenwärtige und Zukünftige vor neuen Katastrophen zu bewahren.
(Siegfried Matthus, Berlin, den 27. Juni 1969)