Alfred Koerppen (1926–2022) Virgilius, der Magier von Rom
Große Zauberoper nach dem Volksbuch vom Zauberer Virgilius (Neufassung) 1950/2004 Dauer: 115'
Solo: Bar. Knabenchor (SSAA) – Schl(2) – Klav
Uraufführung: Frankfurt am Main, 1951
Der berühmte Vergilius Maro, der Dichter der Äneis und Freund des Kaisers Augustus, hatte sich in der Vorstellung des Mittelalters in einen mächtigen Magier verwandelt, der in Rom durch Zauberkunststücke und possenhafte Liebesabenteuer von sich reden machte. In dieser Form erscheint Virgilius in den Deutschen Volksbüchern zusammen mit der Schönen Genoveva, Robert dem Teufel und Doktor Faust, mit dem er verwandte Züge aufweist. Ich fand diesen Virgilius geeignet, das Sujet für eine Oper abzugeben, deren Darsteller Jungen sein sollten. Das war im Jahre 1950; Heinz Hennig hatte eben den Knabenchor Hannover gegründet und die verwegene Idee gefaßt, sich mit einer Jugendoper auf dem Tonkünstlerfest in Frankfurt/Main vorzustellen.
Es gab damals zwei Typen von Jugendopern: die Märchenspiele, die meist die stilistischen und instrumentalen Mittel des Orff-Schulwerks benutzten - und die Schulopern, die, bereits in den 20er Jahren entstanden, lehrhafte oder agitatorische Zwecke verfolgten und musikalisch avancierter waren. Beide Operntypen richteten sich an ein jugendliches Publikum. Ich fand es interessanter, meinem Stoff eine Form zu geben, die zwar mit dem Verständnis und dem Vermögen von Zwölfjährigen rechnet, trotzdem aber ein erwachsenes, „normales“ Publikum ansprechen sollte. Dies hieß: kein Märchen. kein Lehrstück mit Moral. Man sollte die Geschichte naiv, aber auch zur Nachdenklichkeit anhaltend aufnehmen und goutieren können. Ich stellte mir vor, daß der vierhebige Knittelvers, von einem jugendlichen Virgilius gesprochen, einen besonderen Reiz haben müßte, gerade auch dann, wenn sich die Gedanken in faustische Höhen erheben oder sich tragische Konflikte anbahnen. Es sind Züge des Marionettentheaters, die dem „Virgilius“ einerseits die Darstellung durch Halbwüchsige erlauben, andererseits verhindern, daß Erwachsene sich zu einem Kinderspiel „mit Schippen und Eimern“ herabstimmen müssen. In den Zauberopern des 18. Jahrhunderts, ihrer phantastischen, gleichwohl rationalistischen, daneben buffonesken Gestaltungsweise, die uns durch die „Zauberflöte“ noch lebendig und vertraut ist, fand ich ein Vorbild.
Die Musik des „Virgilius“ spricht viele Sprachen. Sie erinnert in den Rezitativen an Schützsche Psalmodien, sie wird zwölftönig, wenn das römische Heer zum lebenden Bild erstarrt, sie wechselt vom leichten Tonfall des Singspiels zum hymnischen der Regenbogenmusik; sie lebt aus und nach der dramatischen Gelegenheit und ist mit dieser läßlichen Behandlung von „Stil“ vielleicht auch durch die „Zauberflöte“ gerechtfertigt.
Der „Virgilius“ wird jetzt vierzig Jahre alt. Er hat viele Aufführungen an vielen Orten erlebt, gelungene und weniger gelungene, und er hält sich wacker. Das ist um so erstaunlicher, als die Interpreten, da ihnen meist der technische Apparat eines Opernhauses nicht zur Verfügung steht, viel Zeit, Fleiß und Phantasie aufbringen müssen. Deshalb sei all denen schon hier gedankt, die sich dafür plagen, daß der Virgilius wieder zaubern kann - zuerst aber Heinz Hennig, ohne dessen beharrliches Drängen das Stück nicht entstanden wäre.
„Virgilius“ und der Knabenchor haben gemeinsam, daß sie nicht älter werden - und da ist es doch schön zu sehen, daß wir, langsam, langsam in die Jahre kommend, etwas von so ausdauernder Jugendlichkeit in die Welt gesetzt haben.
(Alfred Koerppen)