Werner Jacob (1938–2006) Telos Nomou - Das Ende des Gesetzes
[Spr,Ens] 1970 Dauer: 11'
Spr – Fl(Picc.Blfl).Ob(Eh/Klar) – Hn.Pos – Schl(3) – Klav.Cemb.Org
UA: Frankfurt am Main, 1970
Das Werk enstand 1970 als Kompositionsauftrag für die Frankfurter Kirchenmusiktage - es sollte eine kritische Antwort auf die damalige unkontrollierte Lust am Kirchenbau sein. Die entsprechenden Bibeltexte für die vier Teile des Werkes stellte Klaus Röhring zusammen: Passagen aus dem Alten Testament, die sich mit dem Tempelbau Salomos beschäftigen, werden in einen kritischen Kontext eingebaut. Der erste Teil ist überschrieben Hejkal Jehowah - Das Heiligtum Jahwes. Wie auch die drei folgenden zerfällt er in zwei Abschnitte, die hier kontrastieren: So sprach Gott durch seinen Propheten: Ich habe in keinem Hause gewohnt - Salomo aber baute das Haus. So wird nötig, wovon der zweite Teil berichtet: Christos Krisis - Christus, die Wende: Brecht diesen Tempel ab . - und als Reaktion darauf: Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß !
Daraus erwächst der dritte Teil, die Ekklesia, die Kirche, die ohne Haus ist: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen ! - und deren Auftrag: Gehet hin in alle Welt. Schließlich beschwört der letzte Teil die Vision der Kainä Krisis, der Neuen Schöpfung: Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Da wird Gott bei ihnen wohnen... Ich sah keinen Tempel, denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel und das Lamm. Amen. Mehr noch als der Sprecher hat die Musik diese Texte zu interpretieren. Der erste Teil lebt ganz aus dem Kontrast zwischen Freiheit, musikalisch ausgedrückt durch Clusters und Klangfarbenschichtungen, und Strenge, vermittelt durch strengen Kontrapunkt. Kanonisch geführt ist, noch verschleiert, das Reihenmaterial, auf dem die ganze Komposition aufbaut, hier bereits vorhanden. Um das falsch verstandene Gesetz noch krasser anzuprangern, zitiert die Orgel das Te Deum - aber falsch. Die Wende durch Christus wird im zweiten Teil durch einen verwandelten Klangcharakter symbolisiert: durch Liegeklänge, durch changierende Klangsäulen - und durch einen diesmal richtig zitierten Choral: Christe, du Lamm Gottes. Nach dem Zerreißen des Vorhanges - einem großen Orgelcluster, der allmählich paralysiert, abgebaut wird - ist zum ersten Mal auch die bisher verschleierte Reihe in ihrer richtigen Form wahrnehmbar. Ganz aus ihr gebaut wurde der dritte Teil, das Entstehen der neuen Kirche. Trotz der stehenden Klänge des vorangegangenen ist dies der eigentliche langsame Satz des Werkes, der klangmalerisch mit dem Reihenmaterial spielt und es ausbaut bis zur neuen Schöpfung. Dieser letzte Satz ist zugleich der komplexeste, der alles Material - zuerst einzeln - wieder aufnimmt und umformt. Er endet in einer vielschichtigen Synthese aller bisherigen Elemente.
Biographie: siehe Teil II.
(Werner Jacob)