Nicolaus A. Huber (*1939) Go ahead
Musik für Orchester mit Shrugs [Orch] 1988 Dauer: 30'
Gruppe A: 1.1.1.0. – 0.0.0.0. – Str: 1.0.1.1.1. / Gruppe B: 0.0.0.0. – 1.1.1.0. / Gruppe C: Str: 1.1.1.1.0. / Gruppe H: 2(Picc).2(Eh).2(Kb-Klar).3(Kfg) – 3.2.2.0. – Pk.Schl(3) – Hfe – Cel.Klav – Str: 13.10.8.6.5.
Uraufführung: Köln (Musik der Zeit), 25. Mai 1989
Go ahead war zunächst eine Aufforderung an mich selbst, mit einer für mich neuen Aufgabenstellung fertig zu werden und in solch großen, mehrchörig aufgespaltenen Raumdimensionen denken zu lernen (die Kölner Philharmonie als Uraufführungsort faßt immerhin 2500 Sitzplätze). Ich habe dann mit einigen Musikern einen Nachmittag lang in der Philharmonie ein akustisches Orts- und Strukturprogramm durchprobiert, um Vorstellungen entwickeln zu können für Musik, die nicht nur von einem Punkt, sondern gleichzeitig von verschiedenen Punkten aus ihr Tönen entfalten kann.
Das Orchester ist in sieben Gruppen geteilt: Hauptorchester auf dem Podium vorne, Septett (3 Holzbläser/4 Streicher) vorne oben über dem Podium, Trio (Blechbläser) hinten links oben, Streichquartett hinten rechts oben, drei Schlagzeuggruppen im Dreieck verteilt: Podium, linker und rechter Seitenbalkon oben (vordere Hälfte). Die Abstände und Winkel dieser sieben Gruppen sind modifizierbar.
Raum ist 1. Schallort – mit einem Tonwanderungsprogramm verschiedener Richtungen und Längen sowie verschiedener Geschwindigkeiten und Qualitäten der sukzessiven, teilsimultanen und simultanen Berührungen.
Raum ist 2. Erinnerung – strukturell und formal durch ein sich kettenartig fortpflanzendes architektonisches Drillingssystem a x a‘ x‘ a" usw. ins kompositorische Werk gesetzt. Raum ist 3. auch Einschließendes und Zusammenfassendes als elementare Orientierungs- und Vergleichskategorien.
Ohne Raum als Kategorie des Daseins gäbe es keine Begegnung. Sie wird dadurch spannend. Entfernung entdeckt Entferntheit, Erinnerung ergibt Sinn-Ferne und Sinn-Nähe, Entfernung hat Ausrichtung.
Zu „Go ahead“ gehören auch „Shrugs“. Ich las damals ein Interview mit Marcel Duchamp. Er wurde gefragt, was er vom Happening halte. Er hielt nicht viel davon, fand aber bemerkenswert, dass das Happening die Langeweile in die Kunst eingeführt habe, was die Malerei nicht könne. Sofort fragte ich mich: „Und was hast du in die Musik eingeführt?“ Nun, zumindest die Shrugs, das ist das achselzuckende Hören (nicht der achselzuckende Hörer!).
(Nicolaus A. Huber, 24. Juli 1988)
CD:
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, Ltg. Zoltan Pesko
CD Koch-Schwann 3-5037-4 (Andere Welten - 50 Jahre Neue Musik in NRW)
Bibliografie:
Amzoll, Stefan: „Ich bin ein
Bewunderer des Seins“. Über Geschichte und kritisches Komponieren im
Werk Nicolaus A. Hubers, in: MusikTexte Heft 108 (Februar 2006), S.
27-33.
Birkenkötter, Jörg: Keine Kleinigkeiten: „Bagatellen“, „Shrugs“, „Statement“ … Kurze Stücke im Werk Nicolaus A. Hubers, in: Nicolaus A. Huber, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte. Neue Folge 168/169), München: edition text + kritik 2015, S. 153-175.
Huber, Nicolaus A.: „Die Zeit ist buchstabengenau und allbarmherzig“. Zu Hölderlin in meinen Kompositionen, in: Dissonanz, Heft 76, August 2002, S. 4-13, und Heft 77, Oktober 2002, S. 4-15.
ders.: „Le temps est littéral et miséricordieux“. La place de Friedrich Hölderlin dans mes compositions, in: Dissonance, Heft 76, August 2002, S. 4-13, und Heft 77, Oktober 2002, S. 4-15.
Jouini, Sascha: Nicolaus A. Huber. „Go Ahead. Musik für Orchester mit Shrugs“ (1988) (= fragmen, hrsg. von Stefan Fricke, Heft 48), Saarbrücken: Pfau 2006.