York Höller (*1944) Antiphon
[2Vl,Va,Vc,Tb] 1976/1984/2011 Dauer: 17'
Uraufführung: Paris, 15. März 1977
Auftrag des IRCAM zur Eröffnung des Centre Pompidou (Paris), Vinko Globokar gewidmet
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„Mein Streichquartett ANTIPHON steht am Anfang einer Reihe von Werken, in denen es mir darum ging (und geht), einerseits verschiedene Lösungen für das (ästhetische) Problem der Verschmelzung von instrumentalem und elektronischem Klang zu finden, andererseits - und dieser Aspekt ist fast noch wichtiger - eine in sich zusammenhängende musikalische Sprache zu entwickeln, in der die klanglichen und raumzeitlichen Kategorien Melodik, Harmonik, Metrik, Rhythmik, Form in einer dem tonalen System vergleichbaren, quantifizierenden' Weise aufeinander bezogen, gleichzeitig mit dem für das serielle Denken charakteristischen ,quantifizierenden' Ansatz verbunden sind.
So liegt der Komposition eine 42-tönige, zentraltönige ,Materialgestalt` (nicht ,Reihe'!) zugrunde, die für verschiedene Ableitungen im Bereich der Melodik (z. B. Viertelton-Stauchung), Harmonik, Rhythmik, Klangfarbe (Spielarten), großformale Proportionierung (42 Teile zwischen 4 und 88 Sekunden) verantwortlich ist.
Die Formung dieser Materialgestalt erwuchs aus dem Bestreben nach Stringenz' (die Adorno an die Stelle der in der Kunst nicht eigentlich wirkenden Logik' gesetzt wissen will), ,Ausgewogenheit`, ,Zusammenhang`, ,Faßlichkeit`: Kriterien einer meinetwegen ,positorischen' Ästhetik, die ich als für mich gültig anerkenne.
Überdies: Da man hierzulande gegenwärtig besonders deutlich sprechen muß, um nicht - unter Umständen gar mit latenter Absicht - mißverstanden zu werden, erscheint der Hinweis nicht überflüssig, daß mir eine Art Synthese - ich bin mir der Kühnheit meines Unterfangens voll bewußt - von Zimmermann und Stockhausen vorschwebt. Entsprechend meinem Denken und Empfinden jedenfalls ein Weg in die Zukunft (und nicht, wie derzeit üblich, zurück in die frühen 20er Jahre) ... Natürlich: ,Zukunft' ist für viele zur Zeit kein Thema, Fortschritt` erst recht nicht (wobei ohnehin noch niemand hat definieren können, was ,Fortschritt` in der Kunst sei; ein Computer ist so gut wie ein Klavier: man kann gute und schlechte Musik damit machen); beides zielt in der Kunst denn wohl doch auf eines hin: auf die noch nicht oder nur unvollkommen realisierte Möglichkeit.
Mein ästhetischer Ansatz findet symbolhaften Ausdruck gegen Ende des Stückes: Infolge diatonischer Transformation erscheint die ,Materialgestalt' - von Violine und Violoncello im Doppeloktav-Unisono vorgetragen - im Stil eines gregorianischen Chorals (imaginé!). Nach einer Verarbeitung in Form eines Organum quadruplum' im Stile Perotins und einer durchimitierten ,Motette' nach Art Orlando di Lassos - zwei wichtige Architekten am Gebäude europäisch-rationaler Mehrstimmigkeit, als deren besondere Manifestation die Gattung des Streichquartetts gilt - kehrt das Stück zu seiner eigenen Stilistik zurück.“
(York Höller)
CD:
Realisation des Tonbandes: Elektr. Studio d. Staatl. Hochschule für Musik, Köln
Saarbrücker Streichquartett
Deutscher Musikrat
WER 6515-2 / Wergo 286 515-2
Arditti String Quartett
Auvidis MO 782036
Bibliografie:
Nonnenmann, Rainer: Subjektive Expressivität, objektive Formgestaltung. Ein Porträt des Komponisten York Höller, in: MusikTexte, Heft 148, Februar 2016, S. 39-46.