Heiner Goebbels (*1952) Eislermaterial
Szenisches Stück nach Werken von Hanns Eisler [Singst,Orch] 1998 Dauer: 70'
Solo: Ges – 1(A-Fl.Picc).1(Eh).1(Klar[Es]).T-Sax (B-Klar.Asax).1. – 1(Hn-Tuba.Trp).1(Flügelhn).1(T-Hn. Tuba.Helikon).0. – Schl – 2Klav(Sampler.Harm) – Str(mit Ebass)
Uraufführung: München, 23. Mai 1998
Heiner Goebbels, seit Jahrzehnten mit Eislers Musik eng vertraut, gelingt in "Eislermaterial" eine ganz persönliche Hommage: "Goebbels hat frech drauflos montiert, bricht Songs ab, instrumentiert neu, läßt improvisieren, mischt Sampler-Sphären-Sounds in die Zwischenräume. Das sind keine Bearbeitungen im akademischen Sinn. Vielmehr Ausbeutung im guten Sinn: Goebbels zeigt, was an diesem Eisler für ihn so spannend und immer noch aktuell ist.” (Reinhard J. Brembeck)
Aufführungsanweisung
Eislermaterial ist nicht nur eine subjektive Materialauswahl, sondern ein Konzept des Umgangs mit Material von Hanns Eisler, bei dem nicht nur kompositorische Entscheidungen über das darin vorkommende Repertoire wichtig sind, sondern auch der Prozeß der Aneignung durch die Musiker und die Inszenierung des Konzertes auf der Bühne.
Mir geht es bei Eislermaterial nicht darum, eine fertige Partitur mit Stimmen zu liefern, die von den einzelnen Musikern ausgeführt und von einem Dirigenten koordiniert werden. Im Gegenteil sollten sich die Musiker selbst das Material aneignen, das ohne Dirigat gespielt wird - was die Musiker dazu auffordert, sich untereinander zu verständigen. Sinn dieser Aneignung ist es, daß alle Musiker gleichermaßen den Überblick über die Komposition behalten und nicht nur ihren Anteil, ihre Stimme ausführen. U. a. wird das auch dadurch erleichtert, daß alle Musiker meist aus dem Klavierauszug spielen. Da ohne Dirigenten gespielt wird, hilft das nicht nur bei der Einstudierung, sondern auch bei Verständigungsproblemen mit dem Sänger, bei rhythmischen Schwankungen und anderen auch noch im Konzert möglicherweise auftretenden Problemen. Diese Verständigung findet allerdings nicht durch Nähe statt, sondern über eine auch für das Publikum `öffentliche' Entfernung, die durch die Aufstellung gekennzeichnet ist:
Das Zentrum der Bühne bleibt leer. Die Musiker sitzen an den Rändern eines offenen Quadrats bzw. Rechtecks auf Bänken. Auch der Sänger sitzt auf eben diesen Bänken und hat keine besonders hervorgehobene Bühnenposition (wie sonst z. B. vorne an der Rampe). Wenn möglich spielen die Musiker mehrere Instrumente, die vor ihnen abgestellt werden können. Es gibt auch ein Stück, das von allen auf Blechblasinstrumenten gespielt wird (Nr. 12); die spielerischen Anforderungen sind dafür denkbar einfach und können auch von Nicht-Bläsern innerhalb weniger Tage bzw. Wochen erfüllt werden. Zudem gibt es zwei Lieder, die von allen Musikern gesungen werden. Die Musiker einer Instrumentengruppe (Streicher, Bläser etc.) sitzen nicht notwendigerweise nebeneinander, sondern bei den Streichern sollten auf jeder Seite des Rechtecks ein/e Musiker/in sitzen. Flügel und Klavier sind nach Außen gerichtet, d.h. die Spieler dieser Instrumente sitzen mit dem Rücken zum Zentrum der Bühne, auch wenn (bzw. gerade weil) sie oft dasselbe spielen. Verständigung erfolgt also entweder über kleine Rückspiegel, durch Zeichen der Kollegen, oder über Ton-Monitore usw., die sich sowohl für die beiden Pianisten/Keyboarder als auch für den Schlagzeuger und Bassisten (d. h. die Rhythmusgruppe) unbedingt empfehlen, um Laufzeitprobleme der Verständigung durch die große Entfernung auszuschließen. Die ästhetische Spannweite von Eislermaterial geht sehr weit - von sehr einfachen, ganz bewußte reduziertem Liedmaterial (z. B. Nr. 5), über - dem Freejazz verwandte - Improvisationen, Geräuschimprovisationen, bis hin zu komplexen, sehr ausdifferenzierten Orchesterstücken (z. B. Nr. 16: Finale). Dazwischen gibt es auch zwei, von CD eingespielte, reine Hörstücke mit der Stimme Hanns Eislers und eine Blasorchester-Adaption eines Marsches aus der Kantate „Die Mutter" (Nr. 12). Das Programm wird ohne Pause gespielt; auch da, wo die Übergänge nicht so auskomponiert sind (wie z. B. bei Nr. 4) gelten attacca-Anschlüsse.
Es ist ratsam, daß der Aneignungsprozeß, die Proben an Eislermaterial, von musikalischer Leitung supervisiert wird, d. h. jemand von außen über rhythmische Schwankungen, Intonation etc. befragt werden kann.
CD:
Josef Bierbichler (Stimme), Ensemble Modern
CD ECM New Series 1779 461 648-2
Bibliographie:
Goebbels, Heiner: „Eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand umfassend aufbauen!“ am Beispiel Eislermaterial, in: Musik-Avantgarde. Zur Dialektik von Vorhut und Nachhut, hrsg. von Hanns-Werner Heister u. a., Oldenburg: BIS-Verlag 2006, S. 133-140.
Hiekel, Jörn Peter: Mehrdimensionale Echoräume. Weltbezüge in den Musiktheaterwerken „Schwarz auf Weiß“ und „Eislermaterial“ von Heiner Goebbels, in: Heiner Goebbels, hrsg. von Ulrich Tadday (= Musik-Konzepte 179, Neue Folge), München: edition text+kritik, 2018, S. 7-22
Nyffeler, Max: Der dialektische Sampler: Zur kompositorischen Arbeit von Heiner Goebbels, in: Heiner Goebbels. Komposition als Inszenierung, hrsg. von Wolfgang Sandner, Berlin: Henschel 2002, S. 173-180.
1. Anmut sparet nicht noch Mühe |
2. Allegro assai – aus: Kleine Sinfonie, Moment musical |
3. Andante - aus: Suite für Septett Nr. 1 |
4. Und ich werde nicht mehr sehen |
5. Wiegenlied für Arbeitermütter I |
6. Wiegenlied für Arbeitermütter II |
7. Wiegenlied für Arbeitermütter III |
8. Wiegenlied für Arbeitermütter IV |
9. Hörstück I ("Einen Moment, gnädige Frau ...") |
10. Ballade von der haltbaren Graugans |
11. Mutter Beimlein |
12. Vom Sprengen des Gartens |
13. Ballade vom zerrissenen Rock |
14. Horatios Monolog - Bericht vom 1. Mai |
15. Hörstück II ("Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen ...") |
16. Kleine Passacaglia - aus: Fünf Orchesterstücke |
17. Finale - Improvisation – aus: Fünf Orchesterstücke |
18. Über den Selbstmord |
19. Kriegslied "Großvater Stöffel" |
20. "Die Fabriken" – aus: Orchestersuite Nr. 3, Streichquartett |
21. Und endlich stirbt die Sehnsucht doch |